Temperatur verändert Wirkung von Pestiziden bei Hummeln

  • Veröffentlicht am: 25.05.2023

Hummeln mögen es lieber kalt als heiß und Pestizide wirken je nach Temperatur anders. Foto: Jarosław Kwoczała/Unsplash

Der Klimawandel und die Intensivierung der Landwirtschaft setzen bestäubende Insekten ständigem Stress aus. Unbekannt ist, ob steigende Temperaturen die Wirkungsweise von Pestiziden bei Insekten möglicherweise verändern. In einer Multi-Stressor-Studie wurde dies für Imidacloprid und Sulfoxaflor untersucht.

Die absehbare Erderwärmung könnte Auswirkungen von Pestiziden auf die Bestäuber verringern oder auch verstärken und sich auf einzelne Verhaltensweisen auswirken. Eine entsprechende Quantifizierung subletaler Auswirkungen und Verhaltensweisen sind von entscheidender Bedeutung für eine Risikoabschätzung von Pestizideinsätzen, künftig, aber auch schon heute in unterschiedlichen Klimaregionen.

Untersucht wurden in der Studie die Reaktionen von sechs funktionellen Verhaltensweisen von Dunkle Erdhummeln Bombus terrestris, die entweder dem Neonicotinoid Imidacloprid oder dem Sulfoximin Sulfoxaflor bei standardisierten niedrigen, mittleren und hohen Temperaturen ausgesetzt wurden.

Die Hummelvölker wurden in einer kontrollierten Umgebung bei 21 °C und 60 % relativer Luftfeuchtigkeit unter konstantem Rotlicht gehalten. Die Völker erhielten frisch hergestellte 40%ige Saccharoselösung und von Honigbienen gesammelten Pollen als Nahrung.

Für die folgenden Untersuchungen wurde als mittlere Temperatur 27 °C gewählt, als Höchsttemperatur 30 ° C und als niedrigste Temperatur die ursprünglich eingestellten 21 ° C.

Die Konzentrationen von Imidacloprid und Sulfoxaflor wurden identisch gewählt und den Hummeln über die 40%ige-Saccharose-Wasserlösung verabreicht.

Experimente zeigen unterschiedliche Auswirkungen

Im ersten Experiment wurde die Reaktionsfähigkeit untersucht. Gewählt wurde eine Konzentration von 150 μg/l, da der Wert aufgrund früherer Studienergebnisse als feldrealistisch gelten darf; wenngleich er für Imidacloprid ein Worst-Case-Expositionsszenario darstellt.
Imidacloprid sorgte bei den Hummeln dafür, dass sie bei der niedrigen und mittleren Temperatur im Vergleich zur Kontrollgruppe mit einer 113- und 16-fach höheren Wahrscheinlichkeit nicht reagierten. Bei der hohen Temperatur konnte dagegen kein signifikanter Effekt festgestellt werden.
Für Sulfoxaflor konnte dagegen kein Einfluss der Temperatur festgestellt werden.

Im zweiten Experiment wurden die Motivation zur Bewegung, das Laufen und die Nahrungsaufnahme bei deutlich niedrigeren Konzentrationen von 40 und 10 μg/l untersucht. Auch hier haben frühere Studien entsprechende Werte in Pollen und Nektar nachgewiesen.
Die Untersuchung zur Bewegung ergab signifikante Auswirkungen für Imidacloprid bei niedrigen und mittleren Temperaturen und dies insbesondere bei einer Belastung mit 40 μg/l.
Eine Exposition mit 10 μg/l zeigte erst nach 72 Stunden eine geringe Auswirkung.
Die Belastung mit Sulfoxaflor führte dagegen zu keiner derartigen Auswirkung.

Die Auswirkungen auf die Laufgeschwindigkeit waren dagegen sehr viel unterschiedlicher: Signifikante Auswirkungen zeigten sich ebenso für Imidacloprid bei niedrigen und mittleren Temperaturen. 40 μg/l Imidacloprid führten zu einer signifikant erhöhten Geschwindigkeit nach 24 und 48 Stunden bei niedrigen Temperaturen und nach 24 Stunden bei mittlerer Temperatur. Eine Belastung mit 10 μg/l zeigte nach 24 Stunden bei niedrigen Temperaturen eine erhöhte Geschwindigkeit.
Das Laufmuster der Imidacloprid-exponierten Hummeln deutet auf einen anfänglichen hyperaktiven Effekt in den ersten 24 oder 48 Stunden hin, der nach 72 Stunden chronisch wird.
Eine Belastung mit 40 μg/l Sulfoxaflor führte nur unmittelbar nach der Exposition zu einer Zunahme der Geschwindigkeit.

Der Saccharose-Verbrauch nahm mit steigenden Temperaturen ab und Hummeln, die 10 μg/l und 40 μg/l Imidacloprid ausgesetzt waren, verbrauchten im Vergleich zu Kontrollbienen bei allen Temperaturen deutlich weniger.
Darüber hinaus zeigte sich ein chronischer Effekt der Imidacloprid-Exposition auf die Nahrungsaufnahme. Mit der Zeit wurde der Unterschied gegenüber den Kontrollbienen immer größer.
40 μg/l Sulfoxaflor in der Nahrung führten nur bei der mittleren Temperatur zu einer verringerten Nahrungsaufnahme.

Die Konzentration von 10 μg/l wurde auch im dritten Experiment zur Untersuchung der Flugleistung verwendet.
Hummeln, die 10 μg/l Imidacloprid ausgesetzt waren, flogen bei niedriger und mittlerer Temperatur geringere Distanzen; dieselbe Belastung mit Sulfoxaflor zeigte ähnliche Ergebnisse, wobei sie nicht als signifikant anerkannt wurden.
Bei der hohen Temperatur dagegen erreichten die Kontrollbienen eine erheblich größere Distanz. Die Belastung mit Imidacloprid führt bei den Hummeln zu einer Reduzierung der erreichten Distanz um 53,2 %.

Dass die Flugleistung so drastisch einbricht, ist laut den Wissenschaftlern auf zwei mögliche Erklärungen zurückzuführen:

Die so genannte Biotransformationsrate steigt mit der Temperatur an. Sie beschreibt den Prozess, bei dem Pestizide enzymatisch modifiziert werden, um deren Ausscheidung aus dem Körper zu erleichtern. Allerdings kann dieser Prozess auch zu toxischen Metaboliten führen, was als Bioaktivierung bezeichnet wird. Ein primärer Metabolit bei Imidacloprid ist eine Olefinverbindung, die für Insekten giftiger ist als das Neonicotinoid selbst (Suchail, De Sousa et al., 2004; Suchail, Debrauwer et al., 2004).

Darüber hinaus müssen Hummeln komplexe thermoregulierende Prozesse nutzen, damit sie während des Fluges nicht überhitzen. Einige Hummelarten besitzen möglicherweise ein thermisches Flugfenster, das bei etwa 30 °C Außentemperatur endet. Da Neonicotinoide bekanntermaßen negative Auswirkungen auf andere thermoregulatorische Prozesse hat, ist es möglich, dass die Belastung mit Imidacloprid die betroffenen Hummeln zu nahe an ihre thermischen Grenzen brachte.

Signifikante Effekte auf die mittlere oder maximale Fluggeschwindigkeit im Vergleich zu Kontrollbienen konnte das Team der Forscher nicht feststellen.

Temperaturen müssen bei der Bewertung der Toxizität berücksichtigt werden

Die Ergebnisse zeigen, dass einige von Pestiziden beeinflusste Verhaltensweisen größere Auswirkungen zeigen, wenn die Temperaturen sinken, andere, wenn die Temperaturen steigen.
Vorhersagen zu treffen, ist komplex, wenn die entsprechenden Datengrundlagen fehlen und mögliche Auswirkungen sollten nicht unterschätzt werden, da sich Pestizide ansammeln können und sich ihre Wirkungsweise in Kombination verändern kann.
Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Bewertung der Toxizität von Pestiziden für nützliche Organismen der Umweltkontext berücksichtigt werden muss.
Und die Ergebnisse unterstreichen ebenso die Bedeutung von Multi-Stressor-Studien, um eine realistischere Quantifizierung von Bedrohungen für Insekten zu ermitteln. Das erfordert zwar deutlich höhere Aufwendungen, allerdings ist auf andere Weise keine seriöse Einschätzung möglich, wie unterschiedliche klimatische Temperaturen die Wahl eines Insektizids und den Zeitpunkt seiner Anwendung in nachhaltigen landwirtschaftlichen Bewirtschaftungspraktiken beeinflussen sollten.

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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