Bestäuberfreundlicher Strom aus blühenden Landschaften

  • Veröffentlicht am: 29.01.2020

Blühpflanzen für den Bienenstrom 2019 auf einem der Felder. Foto: Stadtwerke Nürtingen GmbH

Auf dem Strommarkt wird vieles als „Grüner Strom“ gepriesen, doch nicht immer hält das Label, was es verspricht. Die Stadtwerke Nürtingen und das Biosphärengebiet Schwäbische Alb haben in einem Kooperationsprojekt Bienenstrom entwickelt – Ökostrom, der Lebensräume für Pflanzen und Insekten schafft.

Im und um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb hatten sich zum Start elf Landwirte gefunden, die Wildpflanzen zur Energiegewinnung in Biogasanlagen auf 14 ha aussäten. Diese blühenden Wildpflanzenmischungen dienen als Ersatz von bisher angepflanzten Monokulturen, insbesondere den für die Energiegewinnung beliebten und von Bestäubern verschmähten Maisanpflanzungen, die in der Vergangenheit durch die Saatgutbeize mit Neonicotinoiden immer wieder negative Schlagzeilen gemacht haben.

Die Finanzierung der Projektkosten erfolgt durch den bundesweiten Verkauf des so getauften Bienenstroms. Und das funktioniert folgendermaßen: Der Strom wird in alpinen Wasserkraftwerken erzeugt. Mit jeder durch die Stadtwerke Nürtingen verkauften Kilowattstunde Bienenstrom fließt ein Cent als Blühhilfe-Beitrag in das Projekt zum An- und Ausbau von Blühflächen. Die Käufer von Bienenstrom werden dann über diesen Blühhilfe-Beitrag zu Blühhelfern. Die am Projekt beteiligten Landwirte erhalten zur Finanzierung der Ertragsminderungen gegenüber Monokulturen dauerhaft einen festgelegten, jährlich zur Auszahlung anstehenden Blühhilfe-Beitrag pro Hektar Anbaufläche und werden zu Blühpaten. Hinweisschilder bei den Blühpaten werben für das Projekt.

Bienenstrom nicht teurer

„Mit jeder Kilowattstunde Bienenstrom fließt ein Cent zu 100 % in das Projekt. Dabei ist Bienenstrom in vielen Fällen günstiger als der aktuelle Stromtarif. Jeder neue Kunde hilft, das Projekt weiter voranzutreiben und unsere Landschaft dauerhaft bunter zu machen“, ist Volkmar Klaußer, Geschäftsführer der Stadtwerke Nürtingen GmbH überzeugt. „Der Wechsel ist dabei ganz einfach und ohne Risiko über unsere Internetseite möglich. Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützer.“
Bei einem 3-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 3.600 kWh entspricht das einer Fläche von etwa 500 m², die in Lebensraum für Pflanzen und Insekten verwandelt wird.

Das Interesse an dem Projekt war vom Start weg groß und die Rückmeldungen der Bienenstrom-Kunden durchweg positiv. In 2018 wurde der Anbau von 14 ha Blühflächen bei elf Landwirten vorfinanziert, die Strom für rund 300 Haushalte liefern können.
Aufgrund gestiegener Nachfrage sind 2019 drei weitere Landwirte hinzugekommen, sodass man derzeit 14 Blühpaten mit 20 ha Anbaufläche finanziert. Anfragen weiterer Landwirte, die von Mais auf blühende Wildpflanzen zur Stromerzeugung umsatteln wollen, liegen vor.
Neben Privathaushalten haben sich inzwischen auch Gewerbekunden und die Gemeinde Bissingen/Teck als Abnehmer des Bienenstroms und damit Blühhelfer gefunden.
Ein aktueller Preisvergleich für Ökostrom-Anbieter zeigt, dass sich der Bienenstrom bei einem 3-Personen-Haushalt etwa im Mittelfeld befindet.

Lebensraum für Wildtiere

Im Rahmen des Projektes geben die Stadtwerke Nürtingen den beteiligten Landwirten die zur Verwendung kommende Zusammensetzung der Blühmischung vor. Sie wurde zuvor mit den weiteren Projektpartnern gemeinsam festgelegt. In der Mischung enthalten sind unter anderem die heimischen Pflanzen Steinklee, Buchweizen, Malve, Eibisch, Flockenblume, Rainfarn – insgesamt besteht die Mischung aus mehr als 20 verschiedenen Pflanzensorten, die zusätzlichen Lebensraum für Wildtiere schaffen sollen. Durch die Mischung von ein- und mehrjährigen Pflanzen in der gewählten Zusammenstellung wird sich der optische Eindruck der Blühflächen von Jahr zu Jahr verändern. Das Projekt ist langfristig angelegt: Die von den elf Blühpaten initial zur Aussaat verwendete Wildpflanzenmischung hat eine Standzeit von fünf Jahren.

Im Gegensatz zu Mais fallen die Hektarerträge für die Biogasgewinnung, abhängig von Einflussfaktoren, wie beispielsweise der Witterung, nur halb so hoch aus. Die Mehrjährigkeit macht den Bestand allerdings witterungsunempfindlicher. Der Bauer hat nach dem Ausbringen keine weitere Arbeit im Gegensatz zum Mais und muss vor allem keine Spritzungen vornehmen; auch das spart Geld.

Im Jahr 2018 hatten sich die Blühfelder den klimatischen Bedingungen entsprechend entwickelt. Der Stand der Pflanzen war wegen der Trockenheit unter der für Anfang August erwarteten Höhe zurückgeblieben. Das hatte weniger Bedeutung für die Insekten, da die Pflanzen trotzdem in voller Blüte stehen. Der Biomasse-Ertrag für die spätere Verwendung in Biogasanlagen fiel allerdings geringer als geplant ausfallen.
Im Jahr 2019 haben sich die Pflanzen dagegen besser entwickelt, sodass die Biomasse im Bereich der Erwartungen war.

Die Stadtwerke Nürtingen werden auch weiterhin an der Energie festhalten, die Landschaften aufblühen lassen. Im Jahr 2019 hat es sogar eine Auszeichnung der „UN-Dekade Biologische Vielfalt“ eingebracht.

Strom aus Biogasanlagen und dies sogar bei einem Gewinn für die Biodiversität? Da sollte man als Bienenfreund doch nicht lange zögern und den Stromtarif wechseln, zumal ein Blick auf die Stromrechnung zeigt, wofür man sonst so allerlei Subventionen zahlt: Allein die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Umlage) beträgt im Jahr 2020 pro Kilowattstunde 6,756 Cent. Sie gleicht die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der Einspeisevergütung aus, die den Betreibern von Windkraft-, Solar-, Biomasse, Wasserkraft- und Geothermieanlagen garantiert wird und ist rund 36-mal so hoch wie bei ihrer Einführung 2000.

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