Erster Pestizidbericht in Baden-Württemberg
Auf den Feldern in Baden-Württemberg kommen derzeit eine Menge Pestizide zum Einsatz. Foto: ykaiavu/Pixabay
Rund 1.900 Tonnen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe werden jährlich im Land Baden-Württemberg ausgebracht. Die Reduktion chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel in Baden-Württemberg ist ein Prozess, der Schritt für Schritt bis 2030 erreicht werden soll. Dabei spielt der Ausbau des ökologischen Landbaus ebenso eine große Rolle wie die Etablierung neuer, innovativer Pflanzenschutzverfahren.
„Erstmals hat Baden-Württemberg einen Bericht zur Anwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel im Land vorgelegt. Im Rahmen des Biodiversitätsstärkungsgesetzes ist das Ziel der Landesregierung bis 2030 die Anwendung um 40 bis 50 Prozent zu senken. Dazu werden wir einen Ausgangspunkt bzw. eine ‚Baseline‘ festlegen, auf Grund derer wir sehen können, wie sich die Anwendungen über einen längeren Zeitraum entwickelt“, so Landwirtschaftsminister Peter Hauk bei der Vorstellung des Berichts.
Basis des nun vorgestellten ersten Pflanzenschutzmittelberichts sind Marktforschungsdaten und weitere Statistiken. „Aus diesen Daten haben wir die vorläufige ‚Baseline‘ in Höhe von 1.900 Tonnen chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittelwirkstoffe pro Jahr als Mittelwert mehrerer Jahre hergleitet, da das für die Datenerhebung vorgesehene Betriebsmessnetz noch nicht vollständig aufgebaut und nutzbar ist. Dies soll bis zum nächsten Frühjahr 2022 erfolgen und in die weitere Berichterstattung einfließen“, so Peter Hauk.
Die Analyse in dieser Differenziertheit sei die Voraussetzung dafür, dass bei der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln an den richtigen Stellen angesetzt werden könne. Hierzu gehören beispielsweise die Ausweitung des Ökolandbaus, ein besserer Wissenstransfer durch ein Demobetriebsnetz und schließlich Fortschritte in der Züchtung und der Entwicklung neuer nicht chemischer Verfahren im Pflanzenschutz.
In der Landwirtschaft werden von den 1.900 Tonnen etwa 98 Prozent angewendet. Hierbei stehen die Herbizide 52 Prozent an der Spitze, gefolgt von den Fungiziden mit 47 Prozent; Insektizide machen unter 1 Prozent aus.
Ein jetzt schon grob abschätzbares Reduktionspotential von 145 Tonnen besteht im Wegfall von Glyphosat ab 2024, der erst ab 2022 verbotenen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten sowie dem Wegfall der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel im Haus- und Kleingarten und im Forst.
Die Zielerreichung steht aus Sicht des Ministers unter Vorbehalt: Risiken im Hinblick auf die Zielerreichung werden der Klimawandel und das mögliche Auftreten neuer Schaderreger und Krankheiten sein. Ebenso müssen Jahre mit extrem nasser Witterung wie zum Beispiel das Jahr 2021 mit einem extrem hohen Pflanzenschutzmittelaufwand zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten in allen Kulturen berücksichtigt werden.
Der NABU Baden-Württemberg begrüßt den Pestizidbericht des Landes, allerdings steht die Analyse der Toxizität noch aus.
„Das ist fast schon ein historischer Moment“, so der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle über die Vorstellung des Berichts durch Landwirtschaftsminister Peter Hauk. „Damit liegt nun endlich und erstmalig ein offizieller landesweiter Referenzwert für die Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 vor, wie es nach dem Volksbegehren ,Rettet die Bienen‘ als Ziel im Biodiversitätsstärkungsgesetz verankert wurde. Man sieht dem Bericht an, dass sich die Landwirtschaftsverwaltung damit große Mühe gemacht hat. Bislang ist so ein Bericht auf Ebene eines Bundeslandes einmalig.“
Land und NABU kommen zu gleichem Ergebnis
Der Bericht kommt zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie der 2018 vom NABU vorgelegte Pestizidbericht: Für das Jahr 2014 wies der NABU eine Menge von 2.309 Tonnen Pflanzenschutzmitteln aus, die jährlich in den wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen in Baden-Württemberg ausgebracht werden. Der Bericht der Landesregierung kommt nun für das Jahr 2016 mit 2.300 Tonnen auf nahezu denselben Wert.
Nach der Vorstellung im Jahr 2018 erntete der NABU noch teils massive Kritik, auch seitens der Landwirtschaftsverwaltung.
Der Bericht der Landesregierung bestätigt damit die herausragende Rolle der Landwirtschaft bei der Pestizidreduktion. Rund 98 Prozent aller eingesetzten chemisch-synthetischen Mittel werden in der landwirtschaftlichen Bodennutzung eingesetzt. Zusätzlich hat die Landesregierung Hochrechnungen für die Flächen der Deutschen Bahn, für den Gemüseanbau, den Forst, das öffentliche Grün und den Haus- und Kleingartenbereich einbezogen. Alle Werte wurden zusammengefasst und um die im Ökolandbau eingesetzten Mittel reduziert. Als Ergebnis kommt die Landesregierung auf einen Referenzwert von 1.900 Tonnen chemisch-synthetische Pestizide als Mittelwert der Jahre 2016 bis 2020.
Der Bericht beschreibt sehr umfassend den Status quo der verschiedenen Möglichkeiten und Aktivitäten der Landesregierung zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes. Damit liefert er eine gute Ausgangslage für weitere Aktivitäten. Im Bericht wird deutlich, dass die Umstellung auf Ökolandbau ein wesentlicher Beitrag ist, um die Reduktionsziele in Baden-Württemberg zu erreichen.
Kritisch sieht Johannes Enssle die mangelnde Analysetiefe des Berichtes: „Dem Bericht fehlt bislang eine tiefergehende Analyse der eingesetzten Wirkstoffe. Damit bleibt er hinter den Möglichkeiten der ausgewerteten Daten zurück. Einige Wirkstoffe stören das Ökosystem stärker als andere, deshalb müssen wir uns die eingesetzten Wirkstoffe genauer ansehen.“
Als Beispiele nennt er das Fungizid Bixafen, das mit rund 500 Tagen sehr lange braucht, um sich in der Umwelt abzubauen. Andere Mittel, wie etwa jene aus der Gruppe der Neonicotinoide, wirken systemisch. Sie verteilen sich in der gesamten Pflanze und sogar in deren Umfeld, etwa im Boden. Sämtliche Organismen, die an ihr oder auch nur an herabgefallen Pflanzenteilen beißen, saugen oder nagen, werden belastet. „Die Anwendung von Neonicotinoiden im Freiland wurde von der EU bereits 2018 verboten. Dennoch wurde im Frühjahr 2021 das Neonicotinoid Thiamethoxam per Notfallzulassung für 12.000 Hektar Zuckerrübenanbau in Baden-Württemberg zugelassen. Nach Ansicht des NABU muss der Bericht der Landesregierung auch solche Aspekte erläutern“, ist Johannes Enssle überzeugt.
Schon während des Volksbegehrens hatte der NABU daher immer wieder eingefordert, neben der Menge der angewendeten Pflanzenschutzmittel auch deren Umweltbelastung in den Fokus zu nehmen: „Wir haben mehrfach angemahnt, dass es nicht ausreicht, einfach nur die Pestizidmenge insgesamt zu reduzieren. Es braucht auch eine Betrachtung der eingesetzten Wirkstoffe entlang von Parametern wie Toxizität und Umweltrisiko.“ In diesem Punkt ging der NABU mit seinem Pestizidbericht von 2018 bereits weiter. Darin wurde für jeden einzelnen Wirkstoff mit Hilfe eines Giftigkeits-Indikators die toxische Last für Baden-Württemberg berechnet.