Durchwachsene Umsetzung des Volksbegehrens Artenvielfalt

  • Veröffentlicht am: 16.09.2022

Von blühenden Landschaften und einem Bestäuberparadies ist Bayern noch weit entfernt. Foto: John Mark Arnold/Unsplash

In der Bilanz des Trägerkreises des Volksbegehrens überwiegen klar erkennbare Defizite trotz deutlicher Aufwärtsentwicklungen. Es bleibt noch viel Luft nach oben in Bayern.

Am 17. Juli jährt sich zum dritten Mal die Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt – „Rettet die Bienen!“ durch den Bayerischen Landtag. Nachdem 2019 über 1,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Staatsregierung mehr Artenschutz ins Hausaufgabenheft geschrieben hatten, kontrolliert seither stellvertretend für diese der Trägerkreis des Volksbegehrens aus ÖDP, LBV, Bündnis 90/Die Grünen und Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS) einmal jährlich mit wissenschaftlicher Unterstützung, welche Hausaufgaben abgearbeitet wurden und wo noch Nachholbedarf besteht. Grundlage für die Bewertung ist der wissenschaftliche Monitoringbericht von Prof. Dr. Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.

Die Daten der dritten Auswertungsphase wurden größtenteils durch Landtagsanfragen erhoben und im Vergleich mit den Werten aus den Vorjahren ausgewertet. Positiv bewertet wird die Zunahme der geförderten Streuobstbäume, der geförderten Flächen entlang von Gewässern und der Förderung für Grüne Bänder und Blühstreifen sowie die Optimierung der Förderprogramme für Weidetierhalter.

Negativ bewertet wurde unter anderem der Ökolandbau, wo sich der Abstand zum linearen Zuwachs, der eigentlich nötig wäre, um die erste gesetzte Zielmarke mit 20 Prozent in 2025 zu erreichen, vergrößert. Besonders schlecht schneiden dabei ausgerechnet die staatlich verpachteten Flächen ab. Von den knapp 15.000 Hektar ist bisher nur von rund 1.000 Hektar bekannt, dass sie ökologisch bewirtschaftet werden. Auch liegt der prozentuale Anteil an der Landesfläche bei der „Späten Mahd“ mit 7,3 Prozent noch unter dem Zielwert von 10 Prozent, obwohl er bereits 2020 erreicht werden sollte. Ebenfalls negativ: Die Umsetzung in besonders biodiversitätsrelevanten Bereichen wie Biotopverbund oder Pestizideinsatz geht nur schleppend oder gar nicht voran und sollte deshalb dringend priorisiert werden. Von insgesamt zwölf dieses Jahr bewerteten Indikatoren verfehlen drei die Zielkriterien und werden bei zwei nicht in Gänze erfüllt.

„Peinlich und bewusst irreführend ist die wiederholte Aussage von Ministerin Kaniber, Bayern sei deutschlandweit ‚Vorreiter‘ beim Ökolandbau. Das ist falsch und das weiß sie auch“, stellt Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und ÖDP-Landesvorsitzende, klar. „Trotz des gesetzlich festgelegten Ausbauziels 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, hinkt die Ministerin mit aktuell 13 Prozent sträflich hinterher. Hessen, Brandenburg oder Baden-Württemberg sind längst weiter. Sogar auf den staatlichen Flächen, wo die 30-Prozent-Vorgabe bereits seit 2020 gilt, wird das Ziel krachend verfehlt. Auch der vorgeschriebene Statusbericht zum Ökolandbau ist nur eine dürre zweizeilige Tabelle. Sich für diese Bilanz selbst zu loben, grenzt schon fast an Realitätsverweigerung. Wir brauchen maximale Förderung des Ökolandbaus, 30-Prozent-Bioanteil als Pflichtvorgabe in den staatlichen Kantinen und endlich die Beendigung des ministerialen Verwirrspiels um ‚bio‘ und ‚regional‘.“

Dr. Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender, ergänzt: „Angesichts des Kriegs in der Ukraine werden immer wieder Stimmen laut, dass Artenschutz verzichtbarer Luxus sei. Wir freuen uns, dass die Ziele des Volksbegehrens trotzdem weiterhin anerkannt werden, was die Bilanz der Ministerien klar gezeigt hat. Uns ist wichtig, dass alle Maßnahmen aus dem Volksbegehren umgesetzt werden. Der Streuobstpakt ist ein Vorzeigemodell, wie auch schwierige Themen erfolgreich umgesetzt werden können. Er kann als Blaupause für andere Bereiche wie den Ökolandbau, den Biotopverbund und die Pestizidreduzierung dienen. Der Streuobstpakt hat auf eine beeindruckende Art und Weise gezeigt, wie Naturschutz funktioniert, wenn alle an einem Strang ziehen.“

„Wir konnten bei dieser dritten Auswertung die Machbarkeit der Indikatoren weiter optimieren. Dabei sind insbesondere Fortschritte bei Agrarumwelt und Klimamaßnahmen erkennbar, aber auch deutliche Defizite oder sogar die Verschlechterung einzelner Indikatoren festzustellen“, so Prof. Roman Lenz. „Leider bestehen wie schon in den Vorjahren weiterhin Mängel in der Datengrundlage mit teils widersprüchlichen Angaben verschiedener Quellen und fehlende Daten. Die Auswirkung von ergänzenden Projekten und Maßnahmen wie zum Beispiel des Streuobstpakts sind erst langfristig erkennbar. Die Umsetzung in besonders biodiversitätsrelevanten Bereichen wie Biotopverbund oder Pestizideinsatz ist nach den uns vorliegenden Angaben erneut mangelhaft. Unser Ziel ist weiterhin ein Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle mit Optimierungshinweisen und der Erfassung von Trends und Entwicklungen.“

Im Basisbericht der Wissenschaftler von 2020 wurde klar, dass es für das selbst gesteckte Ziel der Staatsregierung, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2028 zu halbieren, gar keine Datengrundlage gab. Der LBV hatte daraufhin eine Studie in Auftrag gegeben, die eine „Baseline“ für den landwirtschaftlichen Pestizideinsatz in Bayern zieht, um der Politik einen ersten Referenzwert für die dringend notwendige Pestizidreduktion zu liefern. Der Pestizid-Experte und Autor der Studie, Lars Neumeister, hat für Bayern auf Grundlage von bundesweit erhobenen Daten des Julius-Kühn-Instituts (JKI) eine Menge von 3.600 Tonnen ausgebrachter Pestizide im Jahr 2019 als Ausgangsbasis ermittelt.

Eine Pestizidreduktionsstrategie zu erarbeiten ist jetzt Aufgabe der Politik. Der Trägerkreis fordert eine ambitionierte Strategie mit messbaren Zielen, die mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Und am Ende eine Erfolgskontrolle.