Allergologen werben für Immuntherapie gegen Bienen- und Wespenstiche
Bienen- und Wespengift kann zu gefährlichen allergischen Reaktionen führen. Foto: Wolfgang Hasselmann/Unsplash
Stiche von Bienen und Wespen sind zwar schmerzhaft, in den meisten Fällen jedoch klinisch unproblematisch. Liegt jedoch eine Allergie gegen Bienen- oder Wespengift vor und kommt es zu einer Anaphylaxie, muss schnell gehandelt werden.
Die allermeisten Bienen- und Wespenstiche sind zwar unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich. Eine Schwellung von bis zu 10 cm Durchmesser am Ort der Einstichstelle gilt als vollkommen normal und entspricht der Reaktion auf das beim Stich in die Haut abgegebene Gift. „Wenn es nach dem Stich zu einer Hautschwellung mit deutlich mehr als 10 cm Durchmesser kommt, die länger als 24 Stunden anhält, nennt man das eine gesteigerte Lokalreaktion. Das ist dann immer noch keine systemische Allergie“, erklärt Prof. Dr. med. Thilo Jakob, Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Gießen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Insektengiftallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinischer Immunologie. „Aus epidemiologischen Studien wissen wir, dass bis zu 3,5 % der Menschen in der Allgemeinbevölkerung eine echte Bienen- oder Wespengiftallergie haben. Diese bedürfen einer besonderen medizinischen Zuwendung.“
Zum Glück gibt es einen wirksamen Schutz vor schweren allergischen Reaktionen: Die allergen-spezifische Immuntherapie. Die Immuntherapie funktioniert wie eine Impfung. Das Insektengift wird über einen längeren Zeitraum in zunehmenden Mengen in die Haut gespritzt. Das Immunsystem wird so an das Allergen gewöhnt und Patienten so vor einer erneuten schweren allergischen Reaktion geschützt. Bei der Bienengiftallergie liegt die Wirksamkeit der Immuntherapie bei bis zu 94 %, bei Wespengift bis zu 99 %. „Wenn man bedenkt, wie gut die Behandlung wirkt, ist es sehr verwunderlich, dass schätzungsweise nur 10 % derjenigen, für die eine Indikation der Immuntherapie besteht, eine solche auch erhalten“, bemängelt Thilo Jakob.
Unterschieden werden bei der Anaphylaxie vier Schweregrade. Von Grad I (mild) spricht man, wenn die Reaktion systemisch ist, aber „nur“ Hautsymptome auftreten wie Hautrötungen, Juckreiz und/oder Schwellungen. Treten zusätzlich Übelkeit, Kreislaufprobleme, Schluckbeschwerden und/oder Atemnot auf, handelt es sich um eine moderate Manifestation oder Grad II. Als schwerwiegend gelten Grad III und IV, die sich durch Symptome des Magen-Darm-Traktes (Erbrechen, Durchfall), der Atemwege (Bronchospasmus, Asthmaanfall bis Atemstillstand) oder durch Kreislaufversagen mit Bewusstlosigkeit bis hin zum Kreislaufstillstand äußern. „Wenn Atemnot, Schwindelgefühl, Übelkeit, Herzrasen oder Bewusstlosigkeit auftreten, muss sofort der Notruf gewählt werden“, erklärt Thilo Jakob.
Nach einem Stichereignis mit systemischer allergischer Reaktion ist es wichtig, herauszufinden, welches Insekt die Reaktion hervorgerufen hat. „Nicht immer können die Betroffenen das genau beantworten. Mit einem oder mehreren Hauttests und mit einem Bluttest können wir die Allergie aufspüren und mehr über den Auslöser erfahren“, erläutert Thilo Jakob.
Wenn klar ist, dass eine Allergie auf das Gift von Wespen oder Bienen vorliegt, ist vor allem auch eine Stichvermeidung wichtig. Zu den hilfreichen Tipps gehört, im Freien nicht barfuß zu laufen, enganliegende Kleidung (mit langen Ärmeln und Hosenbeinen) zu tragen und beim Essen und Trinken vorsichtig zu sein, denn Stiche von Wespen oder Bienen im Mund oder Rachen sind auch für Nicht-Allergiker lebensgefährlich. Die Schwellung kann so stark werden, dass sie die Atmung behindert.
Wer mit dem Risiko einer schweren Reaktion allergisch auf Insektengift ist, sollte immer ein Notfallset zur Selbstbehandlung dabeihaben, das einen Adrenalin-Autoinjektor, Kortison und ein Antihistaminikum enthält. Eine solche Notfallausstattung kann jeder Arzt verschreiben. „Es ist wichtig, sich im Vorfeld mit der Anwendung vor allem des Adrenalin-Autoinjektors vertraut zu machen“, so Professorin Dr. med. Silke Hofmann, Beauftragte für die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG). „Viele unserer Patientinnen und Patienten, die eine Insektenstichanaphylaxie durchgemacht haben, leben mit der ständigen Angst, dass sich so ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis wiederholen könnte. Das schränkt die Lebensqualität deutlich ein.“
Mit dem Notfallset können sich Betroffene in der akuten Situation selbst behandeln und das Ausmaß der allergischen Reaktion reduzieren. Mit der Immuntherapie liegt eine erprobte und hochwirksame Behandlungsmöglichkeit vor, die effektiv vor erneuten allergischen Reaktionen schützt und besonders dazu beiträgt, die Lebensqualität der Betroffenen wieder zu steigern.
Die Immuntherapie bei Insektengiftallergie wird gemäß der aktuellen deutschen Leitlinie ab einer Anaphylaxie Grad II empfohlen. Auch bei Erwachsenen mit einer Grad-I-Anaphylaxie kann die Immuntherapie durchgeführt werden, wenn sie beispielsweise beruflich einem hohen Risiko für erneute Stiche ausgesetzt sind oder wenn eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität vorliegt.
„Wer sich immunisieren lassen möchte, muss sich auf eine über mehrere Jahre erstreckende Behandlung einlassen“, sagt Thilo Jakob. Wenn sich die Verdachtsdiagnose einer Bienen- oder Wespengiftallergie bestätigt, kann die Immuntherapie im Rahmen eines kurzen stationären Aufenthalts eingeleitet werden. Die ambulante Weiterbehandlung wird meist für insgesamt drei bis fünf Jahre fortgeführt.
Über 90 % der durch Insektengift verursachten Anaphylaxien lassen sich nach Einschätzung der DDG durch Immuntherapie verhindern. Allerdings erhalten bislang nur etwa 10 % der Betroffenen eine solche Therapie.