Begrünte Fahrgastunterstände als wertvoller Lebensraum
Ein Fahrgastunterstand mit Gründach in Hamburg als Sprungbrett für Bestäuber. Foto: Wall GmbH
Mit Fahrgastunterständen lassen sich neue Lebensräume für Insekten erschließen sowie die Biodiversität in Stadtvierteln fördern. Zu diesem Ergebnis kam eine Evaluation zu zwei begrünten Fahrgastunterständen in Hamburg.
Mit 49 verschiedenen Wildbienen- und Wespenarten auf nur zwei begrünten Fahrgastunterständen verlief das Pilotprojekt von Wall, einem Spezialisten für Stadtmöblierung und Außenwerbung, und Deutscher Wildtier Stiftung noch erfolgreicher als zunächst erwartet. Nachgewiesen wurden sogar seltene und bedrohte Arten sowie die Existenz einer Goldwespen-Art, die zuvor noch nie in Hamburg gefunden wurde.
Zum ersten Mal in Deutschland wurden begrünte Fahrgastunterstände nach ökologischen Aspekten konzipiert und nach Errichtung über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren wissenschaftlich untersucht. Die ursprüngliche Idee, Haltestellenüberdachungen zu begrünen, stammt aus der niederländischen Provinz Uetrecht, wo inzwischen mehr als 300 Fahrgastunterstände aufgestellt worden sind.
Seit Juni 2021 und für eine volle Vegetationsperiode im Jahr 2022 lief die Untersuchung eines bisher in Deutschland einzigartigen Projektes: Zwei Bushaltestellen der Hamburger Hochbahn am Standort Stadthausbrücke sowie am Standort Osterstraße wurden mit einem speziell konzipierten Fahrgastunterstand mit integriertem Gründach versehen, dessen Vegetation mit Nährpflanzen als Lebensraum für Insekten angelegt ist. An der Stadthausbrücke, in einem hoch verdichteten und schattigen Stadtraum, und an der Osterstraße, die mehr Stadtgrün aufweist, untersuchten die Wildbienenexperten der Deutschen Wildtier Stiftung die gesamte Vegetationsperiode 2022 hindurch wissenschaftlich, wie sich die Bepflanzung mit ausgesuchten Blütenpflanzen auf die Besiedlung der Dächer durch Insekten und besonders Wildbienenarten auswirkt.
Bereits im ersten Jahr mit vollständigem Bewuchs nutzen zahlreiche Bienen- und Wespenarten die zwei Gründächer als Lebensraum. Insgesamt konnten 2022 von Mai bis September 49 Arten (25 Bienen- und 24 Wespenarten) nachgewiesen werden. An dem eher schattig gelegenen Standort Stadthausbrücke wurde sogar eine größere Artenvielfalt festgestellt als am Standort Osterstraße. Unter den identifizierten Arten befand sich mit der Goldwespenart Elampus konowi eine sehr seltene und erst 2021 in Hamburg nachgewiesene Art. Für die Experten überraschend konnten sie auch den Erstfund von Omalus biaccinctus, einer weiteren Goldwespenart, in Hamburg dokumentieren. Mit der Sandbiene Andrena denticulata fanden sie zudem eine Wildbiene, die auf der Vorwarnliste der bedrohten Arten zu finden ist.
„Obwohl sich die Gründächer in einer naturfernen Umgebung befinden und eine geringe Flächengröße haben, wurden einige wertgebende Arten nachgewiesen. Darunter befand sich auch ein Neunachweis für Hamburg. In Anbetracht der geringen Größe und des städtischen Umfelds übertreffen auch die festgestellten Arten- und Individuenzahlen alle Erwartungen. […] Dies lässt den Schluss zu, dass die untersuchten Gründächer sehr wesentlich zur Entwicklung von Wildbienenpopulationen beitragen und damit an den untersuchten Standorten eine wichtige Rolle beim Artenschutz einnehmen", so die Naturschutzfachleute der Deutschen Wildtier Stiftung im Evaluationsbericht zu den Gründächern.
Aufgrund dieser durchgehend positiven Ergebnisse der Studie, die erstmals in Deutschland den ökologischen Mehrwert kleinerer Gründächer auf Fahrgastunterständen des ÖPNV untersucht hat, erweitert das Unternehmen Wall das Projekt um zusätzliche fünf Gründächer in Hamburg, deren Standorte sich gerade in Abstimmung befinden. Da hierfür erneut der Aufbau von neu konstruierten Fahrgastunterständen erforderlich ist, werden die Gründächer voraussichtlich ab Oktober 2023 bepflanzt werden und im Jahr 2024 mit entwickelter Vegetation den Insekten neuen Lebensraum bieten können. Die Deutsche Wildtier Stiftung wird mit ihrem Expertenteam erneut die Bepflanzung der Gründächer begleiten und die weitere Erforschung der Habitate in der Wildbienensaison 2024 durchführen. Wall trägt auch weiterhin allein die gesamten Kosten für das gesamte Projekt in Höhe eines sechsstelligen Betrages.
„Ich freue mich außerordentlich, dass wir mit diesem Konzept einen erfolgreichen Beitrag für praktischen Naturschutz im urbanen Umfeld leisten können. Mein Dank gilt der Deutschen Wildtier Stiftung und der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende als langjährigem Partner für ihre Unterstützung unseres Vorhabens. Das Ergebnis der Studie hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen und wir werden gemeinsam mit unseren Partnern in Hamburg das Projekt fortsetzen und zugleich erweitern“, so Patrick Möller, Geschäftsführer Städtemarketing & Service der Wall GmbH. „Bisher wurden in Deutschland in Städten nur einfach gestaltete Gründächer – oft nur mit Moos oder Flechten und ohne spezifisches ökologisches Konzept – bepflanzt. Unser Ziel war es, durch ein wissenschaftlich fundiertes Konzept, einen nachhaltigen ökologischen Effekt zu erzielen und nicht nur einfach einen Fahrgastunterstand zu ‚begrünen‘. Die erstmals in Deutschland durchgeführte wissenschaftliche Begleitstudie der Wirksamkeit einer Dachbegrünung beweist den Erfolg des gewählten Ansatzes und bestärkt uns im Vorgehen. Als Unternehmen haben wir uns einer anspruchsvollen Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet, die uns motiviert, unser Wissen und Knowhow auch in unsere Stadtmöbel zu integrieren um im konkreten Fall damit einen wirksamen Beitrag zum Umwelt- und insbesondere Insektenschutz zu leisten.“
Julia-Marie Battermann, Projektleiterin der Deutschen Wildtier Stiftung ergänzt: „Obwohl sich die Gründächer mitten in der Stadt befinden und sie nur eine geringe Größe haben, konnten wir einige wertgebende Arten nachweisen. Auch die Zahl der Arten und Individuen haben unsere Erwartungen übertroffen. Gründächer können daher wesentlich zum Schutz von Wildbienen-Populationen beitragen.“
Die Pflege der Gründächer auf den Fahrgastunterständen war mit geringerem Aufwand verbunden, als anfangs vermutet. Im ersten Jahr nach der Anlage (2021) wurden die beiden Flächen bewässert, um das Anwachsen und Ausbreiten der ausgewählten Blühpflanzen sicherzustellen. Im zweiten Jahr (2022) musste trotz besonders geringer Niederschläge im Sommer nicht mehr gewässert werden. Die ausgewählten Pflanzen erwiesen sich als recht resistent gegenüber den verschiedenen Witterungsbedingungen. Auch die Fahrgastunterstände selbst, die eigens für das Pilotprojekt neu konstruiert worden waren, um etwa Regenwasser aufnehmen und die zusätzliche Dachlast tragen zu können, kommen ohne zusätzlichen Wartungsaufwand aus.