Pestizid-Lobby macht Druck bei EU-Kommission

  • Veröffentlicht am: 06.03.2020

Lebensmittel mit hierzulande verbotenen Pestizid-Rückständen sollen importiert werden dürfen. Foto: Kurt Bouda/Pixabay, CC0

Pestizidhersteller wie Bayer, BASF und Syngenta versuchen durch massiven Lobbyismus zu erreichen, dass Lebensmittel, die mit in der EU verbotenen Pestizidwirkstoffen produziert wurden, weiterhin nach Europa importiert und verkauft werden dürfen. Auch dann, wenn die Produkte mit Rückständen dieser Stoffe belastet sind.

Ein Bericht der Brüsseler Nichtregierungs-Organisation „Corporate Europe Observatory“ (CEO) zeigt anhand öffentlicher Dokumente und Protokolle, wie Industrievertreter, aber auch Staaten wie die Vereinigten Staaten und Kanada seit 2016 wachsenden Druck auf die EU-Kommission ausüben. Sie wollen erreichen, dass die in der EU geltenden Kriterien zur Risikobewertung von Pestiziden abgeschwächt und Ausnahmeregelungen für „Cut-Off-Pestizide“¹ erlassen werden, die in der EU aufgrund von Gesundheitsrisiken wie Hormon-Störungen oder als Krebsauslöser verboten sind.

Der Druck hat offenbar Wirkung gezeigt: Im Jahr 2017 hatte die Kommission dem Wunsch nach Importtoleranzen für „Cut-Off-Pestizide“ noch eine klare Absage erteilt, da diese ein „inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit“ mit sich brächten.
Ein Jahr und dutzende Lobby-Termine später hat die Kommission teilweise eingelenkt und einen Kompromissvorschlag vorgelegt: Dem gefahrenbasierten Ansatz² der EU folgend, soll in einem ersten Schritt künftig die erlaubte Rückstandshöchstgrenze für „Cut-Off-Pestizide“ automatisch auf Null gesetzt werden, sobald ein Pestizid aufgrund von Gesundheitsrisiken die Zulassung verliert. In einem zweiten Schritt hätten nun aber – dem risikobasierten Ansatz der USA folgend – Drittstaaten die Möglichkeit, Importtoleranzen zu beantragen und auf eine erneute Anhebung der Rückstandshöchstgehalte hinzuwirken. Ob diese gewährt werden, würde die EU dann nach einer systematischen Risikobewertung von Fall zu Fall entscheiden. Damit hat die EU-Kommission die Hintertür für künftige Importtoleranzen weit aufgestoßen.

Der gefahrenbasierte Ansatz der EU unterscheidet sich vom ausschließlich risikobasierten Ansatz der Vereinigten Staaten, denn er basiert auf dem in den EU-Verträgen verankerten Vorsorgeprinzip, welches die USA ablehnen. Diesem Ansatz folgend, sollten Pestizide in der EU nur dann zugelassen werden, wenn inakzeptable Gesundheits- und Umweltrisiken durch wissenschaftliche Untersuchungen ausgeschlossen werden können. Internationale Chemiekonzerne und die USA attackieren seit langem den gefahrenbasierten Ansatz. Dieser würde zu „Handelsverzerrungen“ führen.

Deutschland an der Seite der Vereinigten Staaten

Wie der CEO-Report ebenfalls aufdeckt, leistete die Deutsche Bundesregierung „Schützenhilfe“ beim Lobby-Feldzug gegen die europäischen Pestizidregularien. Aus einem internen Briefing der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bei der EU-Kommission geht hervor, dass Deutschland sich neben sechs weiteren Staaten für einen „ausschließlich risikobasierten Ansatz“ in Bezug auf Importtoleranzen für Cut-Off-Pestizide aussprach. Wenn das stimmt, hat sich die Bundesregierung damit entgegen eigener Zielvorgaben auf die Seite der Pestizidkonzerne und der Freihandelsinteressen der USA gestellt, statt die Interessen der europäischen Verbraucher und Landwirte zu verteidigen und sie vor Gesundheitsrisiken und unfairem Wettbewerb durch importierte Billig-Lebensmittel zu schützen.

EU-Parlament lehnte Importtoleranzen zuletzt ab

Der Vorstoß der EU-Kommission bei den Importtoleranzen steht im Widerspruch zu einer Entscheidung des EU-Parlaments im Fall des verbotenen Wirkstoffs Clothianidin. Clothianidin ist eines von drei Neonicotinoiden, die im April 2018 aufgrund ihrer unmittelbaren Gefahr für Bienen in der gesamten EU für den Freilandanbau verboten wurden. 2013 hatte die EU-Kommission die Genehmigung der Wirkstoffe aus demselben Grund bereits erheblich eingeschränkt. Dagegen hatten die Hersteller Bayer und Syngenta geklagt. Der seitdem laufende Rechtsstreit wird aktuell in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt.

Konträr zu ihren eigenen Interessen in diesem Rechtsfall präsentierte die EU-Kommission im November 2018 überraschend einen Vorschlag zur Anhebung der EU-Lebensmittelgrenzwerte für Clothianidin. Der Vorschlag der Kommission erfolgte auf einen Antrag aus Kanada für eine entsprechende Importtoleranz. Das Europäische Parlament legte allerdings sein klares Veto gegen diesen Vorschlag ein und erinnerte die Kommission ausdrücklich an das Vorsorgeprinzip als eine „fundamentale Leitlinie der Union“ und auch daran, dass Clothianidin verboten wurde, weil es Bienen und Bestäuber „auf einer globalen Skala“ schädigt.
„Die Aurelia Stiftung setzt sich seit Jahren für eine ökologische und bienenfreundliche Landwirtschaft ein und hat erfolgreich an dem Verbot der Neonicotinoide mitgewirkt. Wir halten die zwiespältige Haltung der EU-Kommission zu Importtoleranzen für Cut-Off-Pestizide und die daraus erfolgenden Nachteile für die europäischen Landwirte und Verbraucher für inakzeptabel“, so Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung. „Deshalb fordern wir die EU-Kommission auf, sich klar zum gefahrenbasierten Ansatz und zum Vorsorgeprinzip zu bekennen. Außerdem muss die Kommission endlich einen konsequenten Pestizidausstiegsplan vorlegen, wie wir ihn mit der aktuell laufenden Europäischen Bürgerinitiative ‚Bienen und Bauern retten‘ einfordern.“

Literaturstelle: 

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TW: Pestizidkonzerne und die USA üben massiv Druck auf die EU-Kommission aus und untergraben europäische Ziele für eine umwelt- und sozialgerechte Landwirtschaft. Deutschland an Seite der USA gegen Verbraucher und Landwirte.

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