Wirkungsvolle Pestizide ohne Schädigung von Bienen?

  • Veröffentlicht am: 18.08.2020

Mehr als nur Theorie: Schöne neue Welt ohne Pestizide? Foto: blende12/Pixabay, CC0

Natürlich vorkommende Bodenbakterien sollen bestimmte Schädlinge abtöten, ohne andere Insekten oder die Umwelt zu schädigen. Experimente bei Weizenkulturen zeigen, dass mit diesem Ansatz bis zu 92 % mehr Kulturen überleben als ohne Schädlingsbekämpfung.

Diese Art der Schädlingsbekämpfung basiert auf den eigenen Genen der Pflanze, um bestimmte mikroskopische Würmer, so genannte Nematoden, abzutöten. Insekten, Vögel und Säugetiere werden nicht geschädigt.
Die Nematoden sorgen jährlich für Ernteausfälle von geschätzt 130 Milliarden US-Dollar. Der Einsatz von Pestiziden gegen die schädlichen Nematoden trifft unterschiedslos aber auch andere Organismen, insbesondere nützliche Insekten.
Ein umweltverträglicher Pflanzenschutz, der Bienen und anderen Insekten keinen Schaden zufügt, sollte auf der Prioritätenliste von Agrokonzernen eigentlich ganz oben stehen.

Es gibt natürlich vorkommende Bakterien im Boden, die dazu beitragen können, Pflanzen vor schädlichen Nematoden zu schützen. Bislang ist jedoch kein wirksamer Weg gefunden worden, um die Vorteile dieser Bakterien zum Schutz von Kulturpflanzen im großen Maßstab zu nutzen.

Dr. Konstantin Blyuss von der Universität Sussex hat in Zusammenarbeit mit Biologen aus der Ukraine „RNA Interferenz“ (RNAi) genutzt, um genau auf die Nematoden-Art zu zielen, die Weizen schädigt: „Eine Nematode benötigt wie alle anderen lebenden Organismen, die Produktion einiger Proteine, um zu überleben und für Nachkommen zu sorgen. Die RNA-Interferenz ist ein Prozess, der diese Produktion hemmt oder zum Stillstand bringt.“

Biostimulanzien statt Pestizide

Das Team hat eine Methode entwickelt, um die Gene der schädlichen Nematoden durch die Verwendung von Biostimulanzien, die aus natürlich vorkommenden Bodenbakterien stammen, quasi stummzuschalten. Die Biostimulanzien schalten auch die Gene der Pflanze ab, die durch die Nematoden betroffen werden, sodass der Parasit die Ernte kaum noch schädigen kann.

Dieser Gen-Silencing-Prozess wird ausgelöst, wenn Biostimulanzien, die Metabiliten von Bakterien sind, die natürlicherweise im Boden vorkommen, auf Weizen aufgebracht werden. Die Biostimulanzien können entweder durch Einweichen der Samen oder Wurzeln in eine Lösung mit den Biostimulanzien, oder durch Ausbringen der entsprechenden Lösung auf den Boden, in dem die Pflanzen wachsen, angewandt werden.

„Durch das Einweichen des Pflanzensaatguts in die Lösung von Biostimulanzien wird die Pflanze zu einem Trojanischen Pferd, in dem die in den Pflanzen produzierten speziellen Verbindungen den Nematoden zugeführt werden, die sie dann töten. Wir haben gezielt die spezifischen Gene der Nematoden angesprochen, daher wissen wir, dass dies keine Auswirkungen auf andere Kreaturen hat“, erklärt Konstantin Blyuss.

Die Biostimulanzien beeinflussen nur bestimmte Nematoden- und Pflanzengene und schädigen keine anderen Insektenarten.

Die mathematische Modellierung von Konstantin Blyuss erläutert die Funktionsweise der RNA-Interferenz in Pflanzen und zeigt den effektivsten Weg, die Biostimulanzien einzusetzen, um die Ernte vor den schädlichen Nematoden zu schützen.

Die Experimente des Teams zeigen, dass die Behandlung des Saatguts in der Biostimulanzien-Lösung die Überlebenschancen der Pflanzen um 57 bis 92 % erhöht. Im Vergleich zu Pflanzen ohne Biostimulanzien reduziert diese Technik den Nematodenbefall um 73 bis 83 %.

„Mit mathematischen Modellen haben wir gelernt, wie Biostimulanzien von Weizenpflanzen aufgenommen werden. Daher wissen wir jetzt, wie sie am besten zugeführt werden können. Wir haben auch untersucht, wie sich die RNAi in Pflanzen und Nematoden entwickelt und wie die Pflanze bestimmte Gene abschalten kann, die an dem Parasitismus von Nematoden beteiligt sind, wodurch der Befall gestoppt wird, und wie Teile von RNAi von Pflanzen bei Aufnahme durch Nematoden deren Tod verursachen, indem sie einige ihrer essentiellen Gene abschalten“, so Konstantin Blyuss. „Diese Erkenntnisse wurden mit fortgeschrittenen experimentellen Arbeiten zur Entwicklung neuer Bakterienstämme und zur Gewinnung ihrer Metaboliten sowie mit molekulargenetischen Analysen auf dem neuesten Stand der Technik kombiniert, um eine neue Generation umweltfreundlicher Werkzeuge zur Bekämpfung von Weizen-Nematoden zu entwickeln.“

Frei von Gen-Technik

Das ganze erinnert sehr an genmanipulierte Pflanzen. Dem widerspricht Konstantin Blyuss jedoch energisch: „Manche Menschen sind skeptisch gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen, daher muss klar sein, dass es dies nicht ist: Biostimulanzien wirken effektiv als ‚Impfung‛ gegen Nematodenbefall. Sie erzielen ihre Wirkung, indem sie ihre innere Maschinerie anwerfen, um Verbindungen herzustellen, die die Pflanzen vor Nematoden schützen und gleichzeitig den Tod der Nematoden verursachen. Die Pflanzen, die mit Biostimulanzien hergestellt werden, weisen viel bessere Ernteerträge und eine höhere Resistenz gegen Schädlinge auf, sie unterscheiden sich jedoch nicht von anderen Pflanzen, die künstlich gezüchtet wurden, um nützliche Eigenschaften zu haben. Darüber hinaus sind die Biostimulanzien selbst natürlich, da sie nichts anderes sind als Produkte von Bakterien, die bereits im Boden leben.“

Prof. Galyna Iutynska von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine hat die experimentelle Arbeit zur Entwicklung der Biostimulanzien geleitet. Sie sagt dazu: „Diese Arbeit ist sehr spannend, da unsere Biostimulanzien aus Produkten von natürlich vorkommenden Bodenbakterien gewonnen werden, die nicht gentechnisch verändert sind. Dies ist wichtig, da diese Biostimulanzien im Gegensatz zu chemischen Pestiziden auch zum Schutz einer Vielzahl landwirtschaftlicher Kulturen gegen Parasiten im ökologischen Landbau verwendet werden können, was ein besonders herausforderndes Problem darstellt. Darüber hinaus können diese Biostimulanzien chemische Pestizide ersetzen oder deren Verwendung erheblich reduzieren, wodurch potenzielle negative Auswirkungen auf die Umwelt begrenzt werden.“

Die nächsten Schritte sind die Entwicklung fortgeschrittener mathematischer Modelle, wie Biostimulanzien mit mehreren Komponenten sowohl vom Samen als auch von den Wurzeln aus dem Boden aufgenommen werden können. Zudem wollen die Forscher ermitteln, welche der zuletzt identifizierten genetischen Ziele in der Nematode am effektivsten sind.

„Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, dass der starke Einsatz herkömmlicher Pestizide in der Landwirtschaft die Biodiversität stark schädigt und die Böden verschmutzt und Wasserwege mit schädlichen Toxinen. Wir müssen dringend alternative, nachhaltige Mittel zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen finden“, findet auch Professor Dave Goulson, der wie Konstantin Blyuss an der Universität Sussex lehrt.

Literaturstelle: 

Konstantin B. Blyuss et al. RNAi-Based Biocontrol of Wheat Nematodes Using Natural Poly-Component Biostimulants, Frontiers in Plant Science (2019). DOI: 10.3389/fpls.2019.00483

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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