Wie zarte Insektenflügel Kollisionen überstehen

  • Veröffentlicht am: 26.03.2021

Die Kombination von flexiblen Gelenken, mechanischen Stoppern und „Abknickzonen“ sorgen für die Kollisionsfestigkeit von Insektenflügeln. Foto: Hamed Rajabi/Universität Kiel

Bienen auf Nahrungssuche kollidieren während des Fluges etwa einmal pro Sekunde mit kleinen Hindernissen wie Blüten, Blättern oder Ästen, ohne dabei größeren Schaden zu nehmen. Gleichzeitig wirken verschiedene aerodynamische Kräfte auf ihre Flügel, die sie mühelos aushalten.

Die zerbrechlich wirkenden Flügel machen gerade einmal zwei Prozent der gesamten Masse eines Insektenkörpers aus. Wie können die Flügel von Insekten diesen unterschiedlichen Anforderungen standhalten, ohne zu zerbrechen? Das hat ein Team von Wissenschaftlern untersucht und berichtet von mehreren Besonderheiten in der Flügelstruktur. Diese machen sie sowohl stabil als auch flexibel und anpassungsfähig an unterschiedliche Belastungen. Langfristig könnte daraus eine besonders widerstandsfähige Konstruktionsstrategie für technische Anwendungen in der Robotik, Luftfahrt oder Biomedizin entstehen.

Technische Konstruktionen erfüllen in der Regel nur eine der beiden Eigenschaften: Entweder sie halten große Traglasten aus, wie stabil tragende Bauteile in Gebäuden, oder sie geben bei äußeren Einwirkungen wie einem Zusammenstoß flexibel nach, um nicht zu zerbrechen. Ließen sich beide Fähigkeiten kombinieren, könnten effiziente technische Strukturen entwickelt werden, die ihre Formbarkeit den jeweiligen Anforderungen flexibel anpassen. Bisherige Ansätze dazu sind jedoch oft kompliziert und kostenintensiv und eignen sich so kaum für breit eingesetzte Anwendungen.
 
„Was die ingenieurwissenschaftliche Forschung zurzeit noch beschäftigt, haben Insekten bereits perfektioniert: Dank eines besonderen Aufbaus können ihre Flügel verschiedene Flexibilitätsgrade einnehmen, je nachdem was die jeweilige Situation erfordert“, fasst Professor Stanislav Gorb von Universität Kiel das Ergebnis der Studie zusammen. Bisher standen häufig aerodynamische Aspekte im Fokus biologischer Forschung zu Insektenflügeln.

Das Forschungsteam nahm jedoch den Aufbau der Flügel genauer in den Blick. Anhand von Libellenflügeln brachten sie erstmals drei Elemente in der Flügelstruktur und ihre Funktionen in Verbindung. Gemeinsam sorgen diese dafür, dass Kollisionen und Windkräfte während des Fluges den Insekten nichts anhaben können: flexible Gelenke, mechanische Stopper und „Abknickbereiche“. Libellenflügel bestehen aus Adern, zwischen denen eine Membran gespannt ist. Winzige Gelenke verbinden die einzelnen Adern und ermöglichen so, dass sich die Flügel unter geringer Last verbiegen können. Bei stärkerer Belastung wird diese Bewegung von mikroskopisch kleinen Stacheln gestoppt, die an den Mikrogelenken sitzen. Diese „Stopper“ stützen die Flügel nun gegen die Belastung von außen. Und schließlich können bei einem Zusammenstoß mit einem Hindernis spezielle Bereiche am Flügelende für kurze Zeit reversibel einknicken. „Dank dieser drei Strukturen sind Insekten in der Lage, ihre Flügeleigenschaften anzupassen und so mehrere Funktionen gleichzeitig zu erfüllen“, erklärt Studienautor Ali Khaheshi.

Von der Theorie zur Praxis

Um zu prüfen, ob ihre Theorie über die Konstruktionsstrategien der Insektenflügel auch einer praktischen Anwendung standhält, wendeten sie diese auf ein kaum zehn Zentimeter großes und lediglich 3,8 Gramm schweres Flugzeugmodell an. Sie druckten es per 3D-Druck und unterzogen es verschiedenen Kollisionsexperimenten mit Hindernissen und im freien Fall.
Es zeigte sich, dass diese Flügel die Zusammenstöße überstanden, während auf herkömmliche Weise konstruierte Flugzeugmodelle zerbrachen. Zusätzlich testeten sie leicht abgewandelte Konstruktionen, bei denen sie jeweils eines der drei Konstruktionselemente wegließen.
„Diese Experimente bestätigen, dass es alle drei Elemente in Kombination braucht“, so Ali Khaheshi.
Zentraler Aspekt ist, dass die Strategien bereits im Aufbau der Flügel integriert sind und autonom funktionieren, ohne zusätzliche Energie aktiv einbringen zu müssen. „Solche Erkenntnisse aus der Biologie könnten uns dabei helfen, technische Systeme zu konstruieren, die sich selbstständig an extreme oder unvorhergesehene Situationen anpassen – zum Beispiel in Umgebungen, in denen der Mensch nicht aktiv eingreifen kann, wie bei Weltraummissionen“, beschreibt Dr. Hamed Rajabi von der Universität Kiel.

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Literaturstelle: 

Triple Stiffness: A Bioinspired Strategy to Combine Load-Bearing, Durability, and Impact-Resistance. Ali Khaheshi, Stanislav Gorb, Hamed Rajabi, Adv. Sci. 2021, 2004338, 18 March 2021, DOI: 10.1002/advs.202004338,  https://doi.org/10.1002/advs.202004338

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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