Insekten in Naturschutzgebieten stark mit Pestiziden belastet
Insekten sind auch in Naturschutzgebieten ziemlich allein unterwegs. Foto: Timo Vijn/Unsplash
Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass Insekten in Schutzgebieten im Schnitt mit 16 unterschiedlichen Pestiziden belastet sind. Keines der in Deutschland untersuchten Schutzgebiete war unbelastet.
Eigentlich, so die Annahme, sollen sich wild lebende Tiere und Pflanzen in Naturschutzgebieten ohne menschlichen Eingriff entfalten können, doch eine deutschlandweite Studie zeigt nun, dass dies so nicht zutrifft.
In den vergangenen drei Jahrzehnten sind nachweislich mehr als 75 Prozent der Biomasse an Insekten in deutschen Naturschutzgebieten verschwunden. Die vom Weltbiodiversitätsrat (IPBES) beschriebene Biodiversitätskrise findet in Deutschland demnach sogar mitten in Schutzgebieten statt.
Das Fatale: Ohne Insekten brechen Ökosysteme zusammen, können zum Beispiel Pflanzen nicht mehr ausreichend bestäubt werden. Experten vermuten Pestizide als einen der Hauptverursacher für den dramatischen Rückgang. „Unsere Daten zeigen deutlich, dass Insekten in Naturschutzgebieten mit einem Cocktail aus Pestiziden belastet sind“, unterstreicht Dr. Carsten Brühl von der Universität Koblenz-Landau. Im Projekt „Diversity of Insects in Nature protected Areas“ (DINA) haben er und sein Team die Pestizidbelastung von Insektenmischproben unter die Lupe genommen. Dabei haben sie mit einer neu entwickelten Methode erstmals geschaut, wie stark die Insekten selbst belastet sind. Bisherige Studien haben ausschließlich Daten über die Belastung von Luft und Boden erhoben. Im DINA-Projekt wurde nach einem standardisierten Protokoll mit Serien sogenannter Malaisefallen in 21 Schutzgebieten gearbeitet, in denen die erfassten Insekten in Alkohol konserviert werden. Gleichzeitig wirkt Alkohol als Lösungsmittel für Pestizide. Dadurch konnte das Forschungsteam direkt untersuchen, welche Pestizide an diesen Untersuchungspunkten an den Insekten hafteten. „Mit unserer Methode können 92 aktuell in Deutschland zugelassene Pestizide gleichzeitig in geringen Mengen analysiert werden“, erklärt Nikita Bakanov von der Universität Koblenz-Landau. Ausgewertet haben die Forscher Daten aus den Schutzgebieten von Mai und August 2020.
Auf den Insekten haben die Wissenschaftler über die Gebiete verteilt 47 der 92 Pestizide gefunden. Im Schnitt konnten sie 16 verschiedene Pestizide auf Insekten der einzelnen Naturschutzgebiete nachweisen. In einem Schutzgebiet bestand die Belastung auf den Tieren sogar aus 27 verschiedenen Stoffen. Die minimale Belastung lag bei sieben Pestiziden. „Wenn man bedenkt, dass die Risikobewertung im Rahmen der Zulassungsverfahren von Pestiziden davon ausgeht, dass Insekten mit nur einem Pestizid in Kontakt kommen, liegt auf der Hand, wie realitätsfern diese Bewertungspraxis ist“, unterstreicht Carsten Brühl. Überrascht haben ihn die Ergebnisse nicht. „Es ist gut, dass wir unsere Annahmen dank der neuen Methodik jetzt auch zeigen und belegen können“.
Schutzzonen nötig
Die Ergebnisse haben die Forscher mit einer Raumanalyse der Projektpartner kombiniert. „Wir wollten herausfinden, wo die Insekten die Pestizide aufnehmen“, erklärt Lisa Eichler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Das Ergebnis der Analyse: Die Insekten haben die Pestizide auf der Anbaufläche in einem Umkreis von zwei Kilometern aufgenommen. Naturschutzgebiete in Deutschland sind in der Regel klein. Im Durchschnitt haben sie eine Größe von unter 300 Hektar, 60 Prozent sind sogar kleiner als 50 Hektar. Sehr viele Insekten haben aber einen großen Flugradius. „Politik, Wissenschaft und Landschaftsplanung müssen daher Pufferzonen einplanen und dabei in anderen Skalen denken, 10 bis 20 Meter reichen da nicht aus“, unterstreicht Dr. Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld. Pufferzonen um Naturschutzgebiete und auch Schutzgebiete aus dem europäischen Natura-2000-Programm, in denen keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden dürfen und die ökologisch bewirtschaftet werden, müssten etabliert werden. Die Landschaftsplanung sollte in diesen Puffergürteln von zwei Kilometern Breite um die Naturschutzgebiete ein Risikomanagement verwirklichen und dort prioritär Ökolandbau fördern, so die Empfehlung der Forscher.
Denn Berechnungen des Forschungsteams zeigen: Würde man einen solchen Schutzraum für alle Naturschutzgebiete deutschlandweit umsetzen, beträfe das 30 Prozent der Agrarfläche. „Diese Zahl mag auf den ersten Blick groß erscheinen“, so Carsten Brühl, aber entspräche der Forderung der EU nach 25 Prozent und der neuen Ampelkoalition nach 30 Prozent an Bio-Landwirtschaft bis 2030. „Mit unserer Untersuchung liefern wir Empfehlungen zur Umsetzung dieses Transformationszieles, für das die Politik noch neun Jahre Zeit hat“.
Die neue Ampelkoalition fordert den erhöhten Anteil der ökologisch bewirtschafteten Agrarfläche, die EU will ebenfalls bis 2030 synthetische Pestizide um die Hälfte reduzieren. „Das politische Ziel ist da, getragen wird es auch durch die Nachfrage der Verbraucher nach Bio-Lebensmitteln. Wichtig ist nun die gezielte Umsetzung“, unterstreicht Carsten Brühl. „Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft kam in diesem August zu dem Schluss, dass sich etwas ändern muss.“ Allerdings habe deren formulierte Zukunftsvision keine Anteile von ökologischem Anbau festgelegt und auch die Reduktion des Pestizideinsatzes ausgelassen. Nötig sei nun, die Landwirte in der Transformation beratend zu unterstützen und den ökologischen Anbau dort anzusiedeln, wo er am dringendsten gebraucht wird – als Pufferzonen um Schutzgebiete. „Streng geschützte“ Lebensräume nach EU-Recht würden dann auch in der Realität vor Pestizideinflüssen geschützt. Ökolandbau sollte somit als Instrument für den wirksamen Schutz und die Erhaltung der Artenvielfalt in den Gebieten eingesetzt werden, die zu diesem Zweck ausgewiesen sind.