Wild lebende Honigbienen in Deutschland
Und es gibt sie doch: Wild lebende Honigbienen in Deutschland. Foto: Niels Gründel
Wild lebende Honigbienen-Völker Apis mellifera gelten in Europa gemeinhin als ausgerottet. Die Domestizierung durch den Menschen und die Ausbreitung von Krankheitserregern und Parasiten mithilfe des Menschen sind ebenso Gründe wie der – ebenfalls durch Menschen – verursachte Verlust geeigneter Lebensräume. Allerdings gibt es weder aus der Vergangenheit noch über den gegenwärtigen Status wissenschaftliche Daten zu dieser Annahme.
Zwei Wissenschaftler sind der allgemeinen Behauptung nachgegangen und sind genau vom Gegenteil ausgegangen: Dass hier zu Lande insbesondere naturnahe Buchenwälder geeignete Nistplätze bieten müssten, um wild lebenden Honigbienen eine Heimstatt zu bieten. Ihre Untersuchungen haben sie an zwei Standorten in Deutschland – im Nationalpark Hainich und im Biosphärengebiet Schwäbische Alb – durchgeführt.
Während der Studie haben sie das Vorkommens und die Dichte in den Waldgebieten bewertet und dazu Nistplätze mithilfe der so genannten Beelining-Technik aufgespürt und potenzielle Hohlräume in Bäumen inspiziert. Darüber hinaus haben die Forscher künstliche Schwärme an Waldrändern erstellt und die Kommunikation der Spähbienen für mögliche Nistplätze dekodiert. Auf diese Weise konnten sie ermitteln, wie weit sich Schwärme von bewirtschafteten Bienenvölkern in einen Wald bewegen würden.
Baumhöhlen in naturnahen Buchenwäldern werden danach mit einer Dichte von etwa 0,13 Kolonien pro Quadratkilometer bewohnt – bei konservativer Annahme. Allerdings sind Honigbiene-Völker nicht an Waldränder gebunden, sondern auch tief in den Wäldern anzutreffen.
Den Schätzungen der Wissenschaftler zufolge sind die Völker im Mittel 2.600 m voneinander entfernt. Die Kundschafterinnen auf den Versuchsschwärmen finden Nistplätze jedoch in deutlich geringer Entfernung – im Mittel sind diese nur 470 m entfernt. In ihrer Hochrechnung kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass allein in deutschen Wäldern 4.400 bis 5.600 Völker wild lebende Honigbienen-Völker anzutreffen sind.
Die Schätzungen ähneln den Ergebnissen einer Studie aus Nord-Polen mit 0,1 Kolonien/km² Wildbienen (Oleksa, Gawroński & Tofilski, 2013), liegt jedoch niedriger als die ermittelte Populationsdichte wild lebender Honigbienen-Völker in den gemäßigten Wäldern des US-Bundesstaates New York mit 1 Kolonie/km² (Seeley, 2007; Seeley et al., 2015).
Das Vorkommen wilder Honigbienenvölker in naturnahen Buchenwäldern ist damit eher die Norm als die Ausnahme, wenngleich die Studie eine Momentaufnahme darstellt, weil einzelne Honigbienen-Völker nicht über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Honigbiene im Wald besonders auf die Häufigkeit und Aktivität von Schwarzspechten Dryocopus martius angewiesen sind. Der Schutz großer Lebensraumbäume in bewirtschafteten Wäldern hilft nicht nur dem Schwarzspecht, sondern fördert durch die entstehenden Hohlräume auch das Vorkommen und die Häufigkeit wilder Honigbienen-Völker – wenngleich sie sich in Konkurrenz mit weiteren Tieren des Waldes befinden.
Honigbienen-Völker im Wald müssen mit einer gänzlich anderen Umwelt auskommen, als durch Imker bewirtschaftete Völker: Sie nisten in weit auseinander liegenden Baumhöhlen, niemand behandelt sie gegen Parasiten, und in Zeiten von Nektarmangel werden sie nicht gefüttert. Sie unterliegen damit einer gänzlich anderen Selektion, bei der sie ganz offensichtlich auch mit der Varroa-Milbe klar kommen.
Die Studienautoren gelangen im Ergebnis zu dem Schluss, dass Honigbienen häufiger in ursprünglicher, natürlicher Weise in Baumhöhlen leben, als allgemein angenommen und weithin behauptet wird. Insofern muss bei einer Beurteilung von Auswirkungen auf Ökosysteme, die von Honigbienen ausgehen, zwischen Völkern, die durch Imker bewirtschaftet werden und Wildvölkern in natürlichen Nestern, unterschieden werden.
In Europa wird die Westliche Honigbiene als domestiziertes Tier behandelt; wild lebende Honigbienen genießen keinen rechtlichen Schutz. Im Mittelpunkt bisheriger Forschungen steht fast ausschließlich die Honigbiene als Nutz-, nicht aber als Wildtier. Das gilt es zu ändern, um ein umfassendes Verständnis ihrer Biologie zu erlangen.
Kohl PL, Rutschmann B. 2018. The neglected bee trees: European beech forests as a home for feral honey bee colonies. PeerJ 6:e4602 https://doi.org/10.7717/peerj.4602