Papierwespen verhalten sich logischer als Honigbienen

  • Veröffentlicht am: 19.05.2020

Eine Gallische Feldwespe auf einer Blüte. Foto: Elizabeth Tibbetts/University of Michigan

Eine Studie liefert den Nachweis für eine transitive Inferenz bei einem Nicht-Wirbeltier – Papierwespen –, also die Fähigkeit, bekannte Beziehungen zu nutzen, um auf unbekannte Beziehungen zu schließen.

Die transitive Inferenz galt jahrtausendelang als Kennzeichen menschlicher Fähigkeiten, eine Form logischer Argumentation, die verwendet wird, um Schlussfolgerungen zu ziehen: Wenn A größer als B und B größer als C ist, ist A auch größer als C.

In den letzten Jahrzehnten haben Nachweise gezeigt, dass Wirbeltiere wie Affen, Vögel und Fische ebenso transitive Folgerungen ziehen können.
Honigbienen sind dieser Aufgabe nicht gewachsen. Eine mögliche Erklärung für das Ergebnis – so befanden die Forscher damals – könnte das kleine Nervensystem der Honigbienen sein, dass ihnen kognitive Einschränkungen auferlegt, sodass sie keine transitiven Schlussfolgerungen ziehen können.

Papierwespen haben ein Nervensystem, das mit dem der Honigbienen vergleichbar ist – etwa eine Million Neuronen. Papierwespen zeigen ein soziales Verhalten, das in der Form nicht in Honigbienen-Völkern anzutreffen ist. Die Evolutionsbiologin Elizabeth Tibbetts von der Universität Michigan fragte sich daher, ob die sozialen Fähigkeiten von Papierwespen es ihnen ermöglichen könnte, dort erfolgreich zu sein, wo Honigbienen versagt hatten.

Die Wissenschaftlerin testete zusammen mit ihrem Team zwei Papierwespen-Arten, Gallische Feldwespe Polistes dominula und Polistes metricus, auf deren Fähigkeiten, ein transitives Inferenzproblem zu lösen.

Ausgeklügeltes Verhalten trotz kleinem Gehirn

„Diese Studie trägt zu einer wachsenden Zahl von Nachweisen bei, dass das Miniaturnervensystem von Insekten ein ausgeklügeltes Verhalten nicht einschränkt“, so Elizabeth Tibbetts. „Wir sagen nicht, dass Wespen zur Lösung dieses Problems logische Ableitungen verwendeten, aber sie scheinen bekannte Beziehungen zu verwenden, um Rückschlüsse auf unbekannte Beziehungen zu ziehen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Fähigkeit zu komplexem Verhalten durch das soziale Umfeld beeinflusst wird, in dem entsprechende Verhaltensweisen von Vorteil sind, statt durch die Größe des Gehirns streng begrenzt zu sein.“

Für ihre Untersuchungen sammelten die Wissenschaftler Königinnen von Papierwespen an verschiedenen Orten in der Nähe von Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan.
Im Labor wurden einzelne Wespen darauf trainiert, zwischen Farbpaaren zu unterscheiden, die als Prämissenpaare bezeichnet werden. Eine Farbe in jedem Paar war mit einem leichten elektrischen Impuls verbunden, die andere nicht.

„Ich war wirklich überrascht, wie schnell und genau Wespen die Prämissenpaare erlernten“, so Elizabeth Tibbetts, die seit 20 Jahren das Verhalten von Papierwespen untersucht.

Später wurden den Wespen paarweise Farben präsentiert, die ihnen unbekannt waren, und sie mussten sich zwischen den Farben entscheiden. Die Wespen waren in der Lage, die Informationen in eine implizite Hierarchie zu strukturieren und sie benutzten transitive Inferenz, um sich zwischen den neuartigen Paaren zu entscheiden.

„Ich dachte, die Wespen könnten verwirrt sein, genau wie Bienen“, blickt Elizabeth Tibbetts zurück. „Aber sie hatten kein Problem damit, herauszufinden, dass eine bestimmte Farbe in bestimmten Situationen sicher und in anderen Situationen nicht sicher ist.“

Doch warum verhalten sich Wespen und Honigbienen, die beide ein Gehirn haben, das kleiner als ein Reiskorn ist, bei transitiven Inferenztests so unterschiedlich? Eine Möglichkeit besteht darin, dass bei Honigbienen und Papierwespen verschiedene Arten kognitiver Fähigkeiten notwendig sind, weil sie sich sozial unterschiedlich verhalten.

Eine Honigbienen-Kolonie besitzt eine einzelne Königin und zahllose gleichrangige Arbeiterinnen. Im Gegensatz dazu verfügen die Völker von Papierwespen über mehrere reproduktive Weibchen, die als Gründerinnen bekannt sind. Die Gründerinnen konkurrieren mit ihren Rivalinnen und bilden lineare Dominanzhierarchien.

Der Rang einer Wespe in der Hierarchie bestimmt den Anteil an der Fortpflanzung, Arbeit und Nahrungssuche. Transitive Inferenz könnte es Wespen ermöglichen, schnell Rückschlüsse auf neuartige soziale Beziehungen zu ziehen.
Dieselben Fähigkeiten könnten es weiblichen Papierwespen ermöglichen, Informationen während transitiver Inferenz-Tests spontan zu strukturieren, vermuten die Forscher.

In früheren Studien hat Elizabeth Tibbetts bereits gezeigt, dass Papierwespen Individuen ihrer Art anhand unterschiedlicher Gesichtszüge erkennen und sich aggressiver gegenüber Wespen mit unbekannten Gesichtern verhalten.
Forschungsergebnisse haben ebenso gezeigt, dass Papierwespen ein erstaunlich langes Erinnerungsvermögen besitzen und ihr Verhalten auf dem basiert, woran sie sich bei früheren sozialen Interaktionen erinnern.

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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