Weltweiter Rückgang der Insekten

  • Veröffentlicht am: 22.06.2020

Selbst die Bestände der Monarchfalter sind stark rückläufig. Foto: Alex Guillaume/Unsplash, CC0

Eine Analyse weltweiter Langzeitstudien zeigt, dass die Zahl landlebender Insekten zurückgeht. Sie sank im Schnitt um 0,92 Prozent pro Jahr, was einem Rückgang von 24 Prozent über 30 Jahre entspricht. Gleichzeitig stieg die Zahl der an Süßwasser gebundenen Insekten wie Mücken und Eintagsfliegen, was ein Erfolg von Gewässerschutzmaßnahmen sein könnte. Den Durchschnittswerten stehen lokal jedoch sehr unterschiedliche Entwicklungen gegenüber. Insofern ist eine Pauschalierung schwierig.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die einen dramatischen Insekten-Rückgang zeigen. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt eine Studie aus Naturschutzgebieten im Raum Krefeld. Diese fand einen Rückgang der Biomasse fliegender Insekten von mehr als 75 % über 27 Jahre. Die 2017 veröffentlichte Studie befeuerte Diskussionen über das Phänomen des „Insektensterbens“. Seitdem wurden weitere Studien zur Entwicklung von Insektenbeständen an verschiedenen Orten weltweit veröffentlicht. Die meisten zeigten starke, andere leichte Rückgänge, und einige sogar leichte Zunahmen.

Ein internationales Forscherteam stellte nun Daten aus 166 Langzeitstudien an weltweit 1676 Orten zusammen, um Veränderungen der Insektenzahlen (Individuen, nicht Arten) zu untersuchen. Diese Daten wurden im Zeitraum zwischen 1925 und 2018 erhoben. Die komplexe Analyse offenbarte große Unterschiede in den lokalen Trends – selbst zwischen nahe gelegenen Orten. So gab es in Ländern mit vielen Langzeitstudien wie Deutschland, Großbritannien oder den USA sowohl Orte mit Rückgängen als auch Orte mit wenig Veränderungen oder sogar Zunahmen.
Im globalen Durchschnitt gingen landlebende Insekten wie Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen um 0,92 % pro Jahr zurück.

Insekten verschwinden leise

„0,92 Prozent klingt vielleicht nicht nach viel, aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre. Der Rückzug der Insekten findet leise statt – in nur einem Jahr bemerken wir das nicht. Es ist wie wenn man an den Ort zurückkehrt, wo man aufgewachsen ist. Nur wenn man seit Jahren nicht dort gewesen ist, bemerkt man, wie viel sich tatsächlich verändert hat – leider oft zum Schlechten“, so Dr. Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung.

Die Insekten-Rückgänge waren in Teilen der USA sowie in Europa, insbesondere in Deutschland, am stärksten. In Europa verstärkten sich die negativen Trends in den letzten Jahren – die größten Rückgänge wurden seit 2005 beobachtet.

Beim Thema „Insektensterben“ wird oft angeführt, dass heute weniger tote Insekten an Auto-Windschutzscheiben kleben als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.
„Viele Insekten fliegen – das sind dann die, die von Windschutzscheiben und Kühlergrills erschlagen werden. Wir konnten zeigen, dass fliegende Insekten im Schnitt tatsächlich weniger geworden sind. Aber die meisten Insekten sind weniger augenfällig und leben im Verborgenen – im Boden, in Baumwipfeln oder im Wasser“, bestätigt Prof. Jonathan Chase von der Universität Halle-Wittenberg.

Für die neue Studie untersuchten die Forscher auch Daten zu vielen dieser verborgenen Lebensräume. Es stellte sich heraus, dass heute weniger Insekten in Bodennähe leben als früher – ähnlich wie in der Luft. Im Gegensatz dazu blieb die Zahl der Insekten, die in Bäumen leben, im Schnitt unverändert.

Erholung bei Süßwasserinsekten

Gleichzeitig stieg die Zahl der Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen wie Mücken und Eintagsfliegen, im Durchschnitt um 1,08 Prozent pro Jahr. Das entspricht 38 Prozent über einen Zeitraum von 30 Jahren. Jonathan Chase hält das für ein gutes Zeichen: „Die Zahlen zeigen, dass wir die negativen Trends umkehren können. In den letzten 50 Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern. Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt. Das stimmt zuversichtlich, dass wir die Trends auch bei Populationen umkehren können, die momentan zurückgehen.“

„Insektenpopulationen sind wie Baumstämme, die unter Wasser gedrückt werden. Sie streben nach oben, während wir sie immer weiter nach unten drücken. Aber wir können den Druck reduzieren, so dass sie wieder auftauchen. Die Süßwasserinsekten haben gezeigt, dass das möglich ist“, so Roel van Klink. „Es ist allerdings nicht immer leicht, die Ursachen für die Rückgänge und somit die effektivsten Gegenmaßnahmen auszumachen. Diese können auch von Ort zu Ort anders aussehen.“

Lösungen sind nicht einfach, denn die beobachteten Trends sind komplex. „Wir verzeichnen starke Rückgänge, auch an vielen geschützten Orten. Aber wir haben auch beobachtet, dass es Schmetterlingen an einigen Standorten gut geht. Es braucht Jahre und viele Daten um sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge zu verstehen, Art für Art und Ort für Ort. Vieles liegt außerhalb des Einflussbereiches eines Einzelnen, aber es zählt wirklich jede Entscheidung, die wir für jeden Standort treffen“, so Ann Swengel, die seit 34 Jahren Schmetterlingspopulationen in den Vereinigten Staaten untersucht.

Lebensraumzerstörung wahrscheinlichster Grund

Obwohl die Forscher nicht mit Sicherheit die Ursachen für die verschiedenen Trends – positive wie negative – benennen können, fanden Sie in den Daten doch entsprechende Hinweise. Insbesondere scheint die Zerstörung natürlicher Lebensräume – vor allem durch Verstädterung – landlebende Insekten zurückzudrängen. Andere Berichte, wie das „Globale Assessment“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES, weisen ebenfalls darauf hin, dass die veränderte Landnutzung und die Zerstörung von Lebensräumen Hauptursachen sind für weltweite Veränderungen der biologischen Vielfalt. Die neue Studie stellt aktuell die umfassendste ihrer Art dar. Sie gibt Einblicke in die weltweite Situation der Insekten und zeigt, wo ihr Schutz am dringendsten ist.

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