Gefährliches Potential von Neonicotinoiden bei Säugetieren
Abbauprodukte von Neonicotinoiden wirken sogar gegen Säugetiere. Foto: Michal Jarmoluk/Pixabay
Aufgesprüht auf landwirtschaftlich kultivierte Pflanzen wirken Neonicotinoide zuverlässig als Kontakt- und Fraßgift gegen Insekten. Abbauprodukte können jedoch sogar menschliche Neurone funktionell beeinflussen.
Neonicotinoide sind systemische Insektizide, die sich in der behandelten Pflanze, von der Wurzel bis zum Blatt, gänzlich verteilen. Schädigt ein Insekt die Pflanze, beginnt der Wirkungsmechanismus der Neonicotinoide. Die aufgenommene Substanz bindet an nikotinische Acetylcholinrezeptoren von Nervenzellen. Auf diese Weise wird die Weiterleitung von neuronalen Informationen dauerhaft gestört. Die anhaltende Signalübertragung zwischen den einzelnen Nervenzellen führt letzten Endes zum Tod des Insekts. Eine bislang unterschätzte Problematik der Pestizide ist, dass neben der Originalsubstanz auch deren Abbauprodukte, also Zwischenstufen des Ausgangsstoffs, eine schädliche Wirkung haben können.
Lange ging man davon aus, dass die durch das Insektizid hervorgerufene neuronale Störung spezifisch für Insekten sei. Mehrere Studien konnten allerdings bestätigen, dass die Insektizide ebenfalls nachteilige Effekte auf Säugetierzellen haben. Die Verwendung mehrerer Neonicotinoide wurde inzwischen innerhalb der Europäischen Union weitgehend eingeschränkt, da sie nachweislich als bienenschädlich gelten. Notfallzulassungen für das Freiland gibt es allerdings Jahr für Jahr. Und dass die schädlichen Insektenvernichtungsmittel immer noch auf importierten Lebensmitteln zu finden sind, scheint in den Hintergrund gerückt zu sein.
Ein Team von Wissenschaftlern fanden mit Hilfe humaner LUHMES-Zellen (LUnd Human MESencephalic) heraus, dass Neonicotinoide einen erheblichen Effekt auf Nervenzellen haben. Dazu wurde im Labor aus den LUHMES-Zellen ein bestimmter Typus von Nervenzellen generiert, so genannte dopaminerge Neurone. Diese Nervenzellen sind im Gehirn von Säugetieren an einer Vielzahl biologischer Prozesse beteiligt, unter anderem der Bewegung und Motivation. Bereits in der Vergangenheit erwiesen sich LUHMES-Zellen als ein passendes Modellsystem, um die Toxizität von Substanzen auf menschliche Nervenzellen zu untersuchen. Die Verwendung eines humanen Zellmodels sei „ein großer Vorteil, für humane Toxizitätsbeurteilungen“, so Dr. Udo Kraushaar vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen. Die Vergangenheit zeigt, dass Studien an Nagern nicht immer geeignet sind, um aussagekräftige Toxizitätsbeurteilungen zu gewährleisten; die systemischen Unterschiede zwischen Mensch und Nager sind zu groß.
Nun wurden verschiedene Neonicotinoide und insbesondere ein Abbauprodukt des Neonicotinoids Imidacloprid mit dem bekannten Wirkstoff Nikotin verglichen. Gibt man die zu testende Substanz auf die Nervenzellen, kommt es zu einer Änderung des elektrischen Membranpotentials. Diese Potentialänderung wiederum bewirkt, dass sich Calciumkanäle, die in die Membran der Zellen eingelassen sind, öffnen und den Einstrom von Calcium in die Zelle ermöglichen. Dieser Zufluss von Calcium in die Zelle kann durch ein bildgebendes Verfahren visualisiert und gemessen werden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein Abbauprodukt des Neonicotinoids Imidacloprid deutlich stärkere Auswirkungen auf Nervenzellen hat als sein Ausgangsstoff. Die Wirksamkeit ist vergleichbar mit Nikotin und als akute Störsubstanz auf das humane Neuronenmodell messbar. „Weitere Effekte auf die neuronale Entwicklung sind nicht auszuschließen, müssen allerdings noch erforscht werden“, bestätigt Udo Kraushaar.
Loser, D., Grillberger, K., Hinojosa, M.G. et al. Acute effects of the imidacloprid metabolite desnitro-imidacloprid on human nACh receptors relevant for neuronal signaling. Arch Toxicol 95, 3695–3716 (2021). https://doi.org/10.1007/s00204-021-03168-z