Honigbienen stechen in größeren Gruppen seltener

  • Veröffentlicht am: 18.10.2022

Stechen oder nicht stechen? Für die Stechbereitschaft von Bienen spielt ein Alarmpheromon eine entscheidende Rolle - und ihre Gruppengröße. Foto: E. Böker/CASCB

Für die Stechbereitschaft von Bienen spielt ein Alarmpheromon eine entscheidende Rolle – kombiniert mit der Zahl der Honigbienen.

Der Honig der Honigbienen lockt zahlreiche Fressfeinde an. Einige Räuber nehmen auch zahlreiche Stiche der Honigbienen in Kauf, um an die süße Nahrung zu gelangen. Um Räuber abzuwehren, müssen sich die Honigbienen zu einem gemeinsamen Stechangriff zusammenschließen.

Diese Verteidigungsreaktion wird in der Regel von vorübergehend spezialisierten Honigbienen, den so genannten Wächterbienen, ausgelöst. Sie überwachen die Umgebung der Kolonie. Wenn sie ein großes Tier entdecken, das sich dem Bienenvolk nähert, stechen die Wächterbienen den Eindringling oder sie fahren als Drohhaltung ihren Stachel aus und schlagen mit den Flügeln, wobei sie manchmal zeitgleich in den Bienenstock zu den anderen Bienen fliegen.

„In beiden Fällen bewirkt ihr Verhalten die Freisetzung des Alarmpheromons, einer komplexen Geruchsmischung, die direkt am Stachel sitzt“, erklärt die Studienautorin Morgane Nouvian von der Universität Konstanz. Durch dieses chemische Signal werden andere Honigbienen in der Nähe alarmiert und an den Ort der Störung gerufen. Dort entscheiden sie, ob sie sich entweder an der Verteidigung beteiligen und den Räuber stechen oder ihn mit anderen Mitteln vertreiben. Das Alarmpheromon am Stachel spielt folglich eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Kolonie.

Erweitert wurde die Untersuchung um ein Modell und eine Methodik, um herauszufinden, wie sich die Reaktion von Honigbienen auf das bei der Verteidigung ausgeschüttete Alarmpheromon je nach Gruppengröße verändert. „Unser Ziel ist es, die Auswirkung der Rahmenbedingungen auf die Abwehrreaktion der einzelnen Bienen zu untersuchen“, so Morgane Nouvian. Das Team konzentrierte sich hierfür auf die Gruppengröße, da frühere Studien zeigten, dass dieser Faktor aggressive Reaktionen bei sozialen Insekten beeinflussen kann.

„Diese biologische Fragestellung stellte eine neue Herausforderung für die Computerwissenschaften dar“, stellt die Informatikerin Tatjana Petrov fest. „Soziales Feedback zu verstehen – also die Anpassung des kollektiven Verhaltens an Veränderungen der Gruppengröße –, erforderte den Umgang mit komplexen Modellen und begrenzten experimentellen Daten und damit die Integration modellbasierter und datengesteuerter Methoden.“

Die beiden Studienautorinnen beobachteten zunächst das Verhalten von Bienengruppen, die in einer Vorrichtung mit einer rotierenden Attrappe konfrontiert wurden. Das Forscherteam quantifizierte die Abwehrreaktion der Insekten. Dafür zählten sie am Ende eines jeden Versuchs die Anzahl der Stacheln in der Attrappe. Im nächsten Schritt verwendeten sie ein mathematisches Modell der Gruppendynamik, das die Wahrscheinlichkeit, ob eine einzelne Biene bei einer bestimmten Pheromon-Konzentration sticht, transparent mit dem im Experiment beobachteten Ergebnis ins Verhältnis setzt.

Das Verhalten Einzelner aus Gruppendaten zu extrahieren, sei aus Sicht der Informatik auf mehreren Ebenen herausfordernd, so Tatjana Petrov: „Es gibt bei Modellen über Gruppenverhalten viel zu viele Kombinationsmöglichkeiten und eine wachsende Anzahl von Modellparametern. Zudem sind Methoden zur Quantifizierung von Unsicherheitsfaktoren notwendig, um unbekannte Parameter oder die begrenzte Größe der Datenstichprobe mit einzubeziehen.“

Bienen berücksichtigen soziales Umfeld

Die Zusammenarbeit zwischen Informatik und Neurobiologie eröffnete beiden Seiten eine neue Forschungsperspektive. „Computertechnisch haben wir eine neuartige Methode vorgeschlagen, um individuelles Verhalten aus Populationsdaten zu extrahieren“, erklärt Tatjana Petrov. „Wir haben modernste formale Methoden und statistische Schlussfolgerungen kombiniert.“ Das Softwaretool der Autorinnen integriert alle Analyseschritte modular.

„Auf der biologischen Seite haben wir den Beweis erbracht, dass Bienen bei der Entscheidung zu stechen, ihren sozialen Kontext berücksichtigen“, fasst Morgane Nouvian zusammen.
„Zu dem Ergebnis kommen wir, indem wir unsere Analyse für jede Gruppengröße separat durchgeführt und dann die Dosis-Wirkungs-Kurve mit dem erhaltenen Alarmpheromon verglichen haben.“
Mit zunehmender Gruppengröße eilen weniger Honigbienen zu Hilfe, was als sozialer Bremsmechanismus dient, der zusätzlich zur Alarmpheromon-Kommunikation im Spiel ist.

„Unsere Methodik befasst sich zwar mit einem spezifischen sozialen Phänomen bei Honigbienen, kann aber auch als Proof-of-Concept für die aktuelle Herausforderung betrachtet werden, die Blackbox-Modelle des beobachteten kollektiven Verhaltens zu ‚öffnen‘ und interpretierbare Verhaltenshypothesen auf Ebene der Individuen zu erstellen“, sagt Tatjana Petrov. Sie geht davon aus, dass sich ihr Ansatz auf eine Reihe anderer biologischer Systeme übertragen lässt. „Im Hinblick auf eine breitere Anwendung unseres Ansatzes stehen wir aber vor neuen rechnerischen Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Skalierbarkeit und die Quantifizierung von Unsicherheiten, zum Beispiel bei großen Populationen, ungenauen Messungen und einer größeren kognitiven Kapazität von Individuen.“

Literaturstelle: 

Petrov T, Hajnal M, Klein J, Šafránek D, Nouvian M (2022) Extracting individual characteristics from population data reveals a negative social effect during honeybee defence. PLoS Comput Biol 18(9): e1010305. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1010305

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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