Pflanze entführt Fliege zur Bestäubung
Fallschirm-Leuchterblume am Erdboden unter einem Strauch. In ihren Kesselfallenblüten kann sie bestäubende Fliegen gefangen halten. Foto: Ulrich Meve
Einen wahrer Kriminalfall in Südafrika haben Wissenschaftler aufgedeckt. Dabei spielt eine Pflanze die Rolle der Täterin, bei der Nistfliegen das Opfer ihrer Entführung sind. Doch auch Honigbienen spielen eine wesentliche Rolle, wenngleich nur indirekt.
Viele Blütenpflanzen locken Insekten an, die ihre Blüten bestäuben. Nur so können sie das Überleben ihrer Art sichern. Eine ungewöhnlich listige Strategie, um Fliegen als Bestäuber anzulocken, verfolgt eine im südlichen Afrika heimische Kletterpflanze, die Fallschirm-Leuchterblume Ceropegia sandersonii. Was sie sich für die Bestäubung ihrer Blüten hat einfallen lassen, ist ein kompliziertes Täuschungsmanöver in Tateinheit mit Betrug und Freiheitsberaubung.
Die Opfer in dieser Betrugsgeschichte sind Nistfliegen der Gattung Desmometopa. Um sie anzulocken, produziert die Fallschirm-Leuchterblume einen komplexen Blütenduft, der auf die zwei Millimeter großen Insekten unwiderstehlich wirkt. Die Desmometopa-Fliegen haben nämlich stets einen besonderen Appetit auf Honigbienen. Allerdings erlegen sie ihre Beute nie selbst. Vielmehr sind es Spinnen und andere Insektenräuber, welche die Honigbienen angreifen und töten. Die Fliegen aber spüren innerhalb weniger Sekunden diese Beute auf und laben sich an den Flüssigkeiten, die aus den Bienenkörpern austreten, wenn diese von den eigentlichen Räubern verspeist werden. Sie agieren somit gegenüber den Spinnen als Futterdiebe. In der Biologie werden sie deshalb auch als Kleptoparasiten bezeichnet.
Beim raschen Aufspüren ihrer Lieblings-Beute hilft den Fliegen ein Gemisch von Substanzen, die aus den Drüsen der sich wehrenden und sterbenden Bienen strömen. „Diese in höchster Not abgegebenen Substanzen – wir bezeichnen sie auch als Alarm-Pheromone – bilden einen Duft, der auf den Geruchssinn der Fliegen ähnlich verlockend wirkt wie der Geruch eines Sonntagsbratens auf die menschliche Nase“, erklärt Annemarie Heiduk, Biologie-Doktorandin an der Universität Bayreuth. Die Wissenschaftlerin hat nachgewiesen, dass die Fallschirm-Leuchterblume nicht weniger als 33 Substanzen produziert, die ebenso von tödlich attackierten Honigbienen abgegeben werden. Zusammen bilden diese Substanzen einen Blütenduft, der dem Duft der Bienen so täuschend ähnlich ist, dass die Fliegen buchstäblich darauf hereinfallen – eine nahezu perfekte chemische Mimikry. In Erwartung eines ‚Festmahls‘ stürzen sich die Fliegen in die kesselförmigen Blüten.
Doch hier sehen sich die die notorischen Futterdiebe, ihrerseits betrogen – und zwar in doppelter Hinsicht. Sie finden keine sterbenden Bienen vor, und überdies noch nicht einmal Nektar, oder andere Blütenprodukte wie Pollen. Denn Fallschirm-Leuchterblumen halten in ihren Blüten überhaupt keine Verköstigung für die Fliegen bereit. Es sind Täuschblumen, die sich von angelockten Insekten bestäuben lassen, ohne sie dafür mit Nahrung zu belohnen. Und zum Betrug kommt noch die Freiheitsberaubung hinzu, denn die Blüten halten die Fliegen in ihrem Kessel für ungefähr 24 Stunden gefangen. So ist gewährleistet, dass die Fliegen – die Nahrung und zugleich einen Ausweg aus der Falle suchen – bei der Bestäubung ganze Arbeit leisten. Infolge dieser Aktivität und des langen Nahrungsentzugs sind sie erheblich geschwächt, wenn sie endlich in die Freiheit fliegen dürfen. Hungrig wie sie sind, werden sie vom verführerischen Mimikry-Duft benachbarter Blüten magisch angezogen, und das Spiel beginnt von vorn.
„Derartige Täuschpflanzen, die ihre Blütenbesucher auf unterschiedliche Weise manipulieren und zur Bestäubung ohne Gegenleistung missbrauchen, sind gar nicht so selten“, erklärt Dr. Ulrich Meve, der die Dissertation von Annemarie Heiduk an der Universität Bayreuth gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Dötterl, Universität Salzburg, betreut. „Man geht heute davon aus, dass es rund 15.000 solcher Pflanzen gibt. Die Fallschirm-Leuchterblume, die in südafrikanischen Trockengebüschen vorkommt und der Gattung Ceropegia angehört, wendet dabei allerdings eine besonders überraschende Strategie an.“
Das neue Wissen rund um die Bestäubung durch Futterdiebe wird jetzt genutzt, um zu fragen, inwiefern auch andere Pflanzen diese Strategie wählen. Bei Pfeifenblumen konnte man etwa nachweisen, dass sie die Inhaltsstoffe von attackierten Wanzen nutzen, um bestäubende Fliegen anzulocken.
Der Bayreuther Biologe untersucht gemeinsam mit Prof. Dr. Sigrid Liede-Schumann am Lehrstuhl für Pflanzensystematik seit vielen Jahren die Systematik und Stammesgeschichte von Ceropegia und anderen Gruppen der Schwalbenwurzgewächse. Er erinnert daran, dass Fliegen hinsichtlich ihrer Bedeutung als Blütenbestäuber häufig unterschätzt würden. „Tatsächlich sind ungefähr 15 Prozent aller von Tieren bestäubten Pflanzen für ihre sexuelle Reproduktion auf bestäubende Fliegen angewiesen. Fliegen sind damit gleich nach den Bienen, die für 20 Prozent der Blütenpflanzen ein ‚Bestäubungsmonopol‘ haben, die zweitwichtigsten bestäubenden Insekten“, so Dr. Ulrich Meve.
Annemarie Heiduk kam den betrügerischen Tricks der Fallschirm-Leuchterblume mit technisch anspruchsvollen Untersuchungsmethoden auf die Spur. Um den Bienen- und Blütenduft zu analysieren, setzte sie Gaschromatographie-Massenspektroskopie (GC-MS) ein und führte an den Bestäubern elektroantennographische Untersuchungen (GC-EAD) durch. In Bayreuth, Salzburg und KwaZulu-Natal, einer Provinz der Republik Südafrika, testete sie die Wirkung einzelner Duftsubstanzen auf die Fliegen im Freiland. Es stellte sich heraus, dass die Desmometopa-Fliegen fast die Hälfte der Substanzen über ihre Antennen wahrnehmen können, die sowohl im Bienenduft als auch im Mimikry-Duft der Blüten enthalten sind.
Ceropegia sandersonii Mimics Attacked Honeybees to Attract Kleptoparasitic Flies for Pollination, in: Current Biology (2016), doi: 10.1016/j.cub.2016.07.085