Potenzielle Bestäuber vielfach unbekannt

  • Veröffentlicht am: 14.10.2021

Käfer sind viel häufiger als Bienen und wertvolle Bestäuber, hier eine Hellgelbe Erdhummel Bombus lucorum neben zwei Trauer-Rosenkäfern Oxythyrea funesta. Foto: Niels Gründel

Eine Fallstudie macht auf potenzielle Bestäuber aufmerksam, die noch nicht als Bestäuber von Nutzpflanzen erfasst wurden, aber gleichwohl mit hoher Wahrscheinlichkeit zur landwirtschaftlichen Produktivität beitragen. Die Wissenschaftler bezeichnen sie als die vernachlässigte Vielfalt der Bestäuber von Kulturpflanzen. Bisher werden sie aus Unkenntnis aus Erhaltungsstrategien und Landnutzungsplanungen ausgeschlossen.

Für ihre Studie haben die Forscher Brasilien ausgewählt: Es ist einer der größten Lebensmittelproduzenten und -exporteure der Welt und die landwirtschaftliche Produktion ist stark von Bestäubern abhängig. Brasilien ist zudem ein Land mit sehr großer biologischer Vielfalt (wenn nicht das größte) und weist eine hohe Vielfalt an Bestäubern auf: Das Land beherbergt schätzungsweise etwa 42.000 Pflanzenarten und 148.000 Tierarten, davon rund 9.000 Wirbeltiere.

Tierische Bestäuber erhalten Ökosystem aufrecht – von der Reproduktion von Wildpflanzen bis hin zur Sicherstellung der Ernteerträge von Nutzpflanzen.

Der Schutz der biologischen Vielfalt hat insbesondere in der Landwirtschaft über Jahrzehnte keine nennenswerte Rolle gespielt, obwohl ihr Verlust die Ernährungssicherheit der Menschheit gefährdet: Etwa 90 % aller blühenden Pflanzenarten, ob Kultur- oder Wildpflanzen, werden von Bienen oder anderen Insekten, Fledermäusen, Vögeln und sogar Wirbeltieren bestäubt. Tierische Bestäuber beeinflussen die Produktion von über 75 % aller weltweiten Nahrungspflanzen; sie sichern oder verbessern in unterschiedlichem Maße Fruchtansatz, Ertrag, Fruchtmenge und -qualität.

Die brasilianische Bienenfauna soll mindestens 1.678 Arten enthalten, so Moure et al. 2007; davon sind bisher nur 165 Arten als Pflanzenbestäuber bekannt. Die meisten Bienenarten können als potenzielle Bestäuber fungieren.
Feldstudien zur Bestäubung von Nutzpflanzen sind in Brasilien selten, was zu einem Mangel an Daten über Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen bei wichtigen Nutzpflanzen und anderen Pflanzenprodukten führt.

Neben Bienen kommen auch andere Tiere als Bestäuber infrage, rücken jedoch noch seltener in den Fokus. Die Insektenvielfalt in Brasilien soll rund 100.000 Arten umfassen; auch von ihnen besitzen viele Arten das Potenzial, als Pflanzenbestäuber zu dienen, insbesondere Hautflügler Hymenoptera, Käfer Coleoptera, Zweiflügler Diptera und Schmetterlinge Lepidoptera. Von der artenreichsten Insektenordnung der Welt, den Käfern, wurden nur 23 Arten als Pflanzenbestäuber in Brasilien bestimmt. Die Forscher bezeichnen dies eine „erschütternde Ignoranz“.

Riesiges unbekanntes Potenzial

Im Ergebnis schätzen die Forscher die vernachlässigte Vielfalt bei den Bienen als potenzielle Pflanzenbestäuber in Brasilien auf 88,4 %. Bei Wirbeltieren beträgt die vernachlässigte Diversität 95,2 %.
Dies bedeutet, dass aktuell viele noch zu beobachtende Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen im Hinblick auf die Erhaltungsagenda für die landwirtschaftliche Stabilität völlig unbeachtet werden.

Die Wissenschaftler sehen mindestens zwei Elemente, die eine umfassende Bewertung der vernachlässigten Vielfalt von Pflanzenbestäubern verhindern: Die geringe Anzahl agronomischer und ökologischer Studien zu diesem Thema und die Muster der geographischen Verteilung der Arten.

Strategische Maßnahmen müssen die Bedrohungen der einheimischen Biodiversität angehen und die Biodiversität wiederherstellen.
Die meisten bisher ergriffenen Maßnahmen dienen der Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Informationen allein retten aber keine Arten und zudem beschränkt sich die Wahrnehmung der Bedeutung von Bestäubern fast ausschließlich auf Bienen.

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
Indexierung