Langzeitvideos zeigen Brutentwicklung von Bienenlarven mit Neonicotinoiden im Futtersaft

  • Veröffentlicht am: 03.06.2020

Die Unterschiede in der Larvenentwicklung sind deutlich zu erkennen. Quelle: Siefert et al. 2020/Scientific Reports, CC BY 4.0

Durch eine neu entwickelte Videotechnik konnten Wissenschaftler erstmals die komplette Entwicklung einer Honigbiene im Bienenstock aufzeichnen. Dabei stellten die Forscher fest, dass Neonicotinoide das Verhalten der Ammenbienen veränderten: Sie fütterten die Larven seltener. Die Larven benötigten bis zu zehn Stunden länger in ihrer Entwicklung. Eine längere Entwicklungszeit im Stock kann den Befall mit Bienenschädlingen wie der Varroa-Milbe begünstigen.

Honigbienen haben ein sehr komplexes Brutverhalten: Eine Putzbiene reinigt eine leere Brutzelle von den Resten der vorherigen Brut, bevor die Bienenkönigin ein Ei hineinlegt. Sobald die Bienenlarve geschlüpft ist, wird sie sechs Tage lang von einer Ammenbiene gefüttert. Dann verschließen die Ammenbienen die Brutzelle mit einem Deckel aus Wachs. Die Larve spinnt sich in einen Kokon ein und durchläuft eine Metamorphose, während der sie ihren Körper umformt und Kopf, Flügel und Beine entwickelt. Drei Wochen nach der Eiablage schlüpft die ausgewachsene Biene aus dem Kokon und verlässt die Brutzelle.

Durch eine neue Videotechnik konnte nun erstmals die komplette Entwicklung einer Honigbiene im Bienenvolk aufgezeichnet werden. Dazu konstruierten die Forscher einen Bienenstock mit einer Glasscheibe und filmten Brutzellen von insgesamt vier Bienenvölkern gleichzeitig über mehrere Wochen hinweg mit einem speziellen Kamera-Aufbau. Dabei nutzten sie Rotlicht, um die Bienen nicht zu stören, und zeichneten alle Bewegungen der Bienen an den Brutzellen auf.

Die Forscher interessierten sich dabei speziell für das Brutpflegeverhalten der Ammenbienen, deren Futter sie geringe Mengen an Neonicotinoiden zusetzten. In natürlicher Umgebung gelangen Neonicotinoide durch das Sammeln von Nektar und Pollen in das Bienenvolk. Es ist bereits bekannt, dass diese Stoffe unter anderem die Navigationsfähigkeit und das Lernverhalten der Bienen stören. 

Über Machine-Learning-Algorithmen konnten die Forscher das Brutpflegeverhalten der Ammenbienen halbautomatisch auswerten und quantifizieren. Das Ergebnis: Bereits geringe Dosen der Neonicotinoide Thiacloprid oder Clothianidin führen dazu, dass die Ammenbienen an einigen Tagen der sechstägigen Larvenentwicklung weniger häufig und somit kürzer fütterten. Manche der so aufgezogenen Bienen benötigten bis zu zehn Stunden länger bis zum Verschluss der Zelle mit einem Wachsdeckel.

„Neonicotinoide wirken auf das Nervensystem der Bienen, indem sie den Rezeptor für den Nerven-Botenstoff Acetylcholin blockieren“, erklärt Dr. Paul Siefert von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. „Wir konnten erstmals zeigen, dass Neonicotinoide auch das Sozialverhalten der Bienen verändern. Das könnte ein Hinweis auf die von anderen Wissenschaftlern beschriebenen Störungen der Brutentwicklung durch Neonicotinoide sein.“ Auch Parasiten wie die gefürchtete Varroa-Milbe Varroa destructor profitieren von einer verlängerten Entwicklung, denn die Milben legen ihre Eier in Brutzellen kurz vor der Verdeckelung ab: wenn diese länger geschlossen sind, können sich die Milbennachkommen ungestört entwickeln und vermehren.

Es sei allerdings noch zu klären, so der Wissenschaftler, ob die Verzögerung der Larvenentwicklung auch auf die Verhaltensstörung der brutpflegenden Bienen zurückzuführen sei oder ob sich die Larven durch veränderten Futtersaft langsamer entwickeln. Solchen Futtersaft produzieren die Ammenbienen und füttern die Larven damit. „Wir wissen aus anderen Studien aus unserer Arbeitsgruppe“, so Paul Siefert, „dass sich durch Neonicotinoide die Konzentration von Acetylcholin im Futtersaft verringert. Andererseits haben wir beobachtet, dass sich bei höheren Dosierungen auch die frühe Embryonalentwicklung im Ei verlängert, in einem Zeitraum also, in dem noch nicht gefüttert wird.“ Weitere Studien müssten klären, welche Faktoren hier zusammenwirken.

Die neue Videotechnik und die Auswertungs-Algorithmen jedenfalls bieten großes Potenzial für weitere Forschungsprojekte. Denn neben den Fütterungen konnten auch Heiz- oder Bauverhalten zuverlässig erkannt werden. Paul Siefert: „Unsere innovative Technologie erlaubt es, grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen über die sozialen Interaktionen im Bienenvolk, über die Biologie von Parasiten und die Sicherheit von Pflanzenschutzmitteln.“

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Literaturstelle: 

Paul Siefert, Rudra Hota, Visvanathan Ramesh, Bernd Grünewald. Chronic within-hive video recordings detect altered nursing behaviour and retarded larval development of neonicotinoid treated honey bees. Sci. Rep. 10, 8727 (2020).

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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