Bodelebenwesen profitieren nicht von Naturschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft

  • Veröffentlicht am: 28.06.2021

Die biologische Vielfalt im Boden landwirtschaftlich genutzter Wiesen und Weiden ist am höchsten, wenn diese von viel Wald mit altem Baumbestand umgeben sind. Foto: JuergenPM/Pixabay

Aktuelle Naturschutzpraktiken im Agrarland helfen zwar oberirdisch lebende Arten wie Vögeln und Bienen, aber das Leben unter der Erde profitiert wahrscheinlich nur wenig davon.

Ein Team von Forschern zeigt, dass die biologische Vielfalt im Boden landwirtschaftlich genutzter Wiesen und Weiden am höchsten ist, wenn diese von viel Wald mit altem Baumbestand umgeben sind. Hingegen haben extensive Landnutzung und eine vielfältige Nahumgebung – beides Hauptpfeiler der Maßnahmen zur Förderung der Agrobiodiversität – nur wenig Einfluss auf die Vielfalt unterirdisch lebender Organismen.

Die biologische Vielfalt auf Wiesen und Weiden ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, wie zahlreiche Studien zeigen. Maßnahmen, die diesen Verlust aufhalten sollen, konzentrieren sich bislang meist auf die Arten, die oberirdisch leben, wie beispielsweise Vögel und Bienen. Doch auch im Boden von Wiesen und Weiden wimmelt es vor Leben. Diese Organismen sind mindestens so vielfältig wie die oberirdisch lebende Fauna und immens wichtig für die Bodenfruchtbarkeit, die Kohlenstoffspeicherung und eine Reihe anderer Ökosystemleistungen. Wissenschaftler zeigen in einer neuen Studie, dass unter- und oberirdische biologische Vielfalt unterschiedlichen Einflüssen unterliegen. Die gegenwärtigen Naturschutzmaßnahmen kommen daher dem Leben unter der Erde wahrscheinlich kaum zugute.

In einer Studie ermittelte das Team der Forscher, wie artenreich 150 Parzellen auf Wiesen und Weiden sowohl ober- als auch unterirdisch sind und welche Rolle eine intensive Landnutzung dabei spielt. Die Untersuchungsflächen befinden sich in der Schorfheide-Chorin, auf der Schwäbischen Alb und im Nationalpark Hainich. Sie sind Teil der Biodiversitäts-Exploratorien, einem deutschlandweiten Verbundprojekt, in dem seit 2006 Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und Landnutzung untersucht werden. Anhand dessen lassen sich daher in herausragender Detailtiefe aufzeigen, wie Ökosysteme auf intensivierte Landnutzung reagieren.

„Wir haben Daten zur Artenvielfalt entlang der gesamten Nahrungskette in Beziehung dazu gesetzt, wie intensiv die Parzellen landwirtschaftlich genutzt werden, wie viel also gedüngt oder wie oft gemäht wird. Darüber hinaus haben wir uns angeschaut, wie die Landschaft in einem zwei-Kilometer-Radius rund um die Parzellen aussieht. Zum Beispiel haben wir untersucht, wie lange Wälder und natürliche Graslandschaften in dieser Umgebung schon bestehen, da das Roden von Wäldern und Umbrechen von Grasland, um Platz für Ackerbau zu schaffen, eine intensivere Landnutzung darstellt“, beschreibt Dr. Gaëtane Le Provost vom Senckenberg-Forschungszentrum die Studie.

Den Ergebnissen zufolge hängt die Artenvielfalt der meisten Bodenorganismen, beispielsweise Bakterien und Pilze, auf den Wiesen- und Weideparzellen nicht davon ab, was auf der Fläche selbst passiert, sondern wie die weitere Umgebung beschaffen ist. „Die Artenvielfalt im Boden der Parzellen ist umso höher, je mehr Waldflächen es in bis zu zwei Kilometern Entfernung gibt. Außerdem ist die Artenvielfalt im Boden der Parzellen höher, je länger der Wald in der weiteren Umgebung schon besteht“, erklärt Dr. Peter Manning vom Senckenberg-Forschungszentrum. „Die Wälder bieten einen stabilen Lebensraum für Bodenorganismen und scheinen deshalb ein Zufluchtsort zu sein. Von dort ausgehend können Tiere und Pilze den Boden von Wiesen und Weiden – beispielsweise nach deren Umpflügen – wieder besiedeln können.“

Wie intensiv die Parzellen gedüngt, beweidet oder gemäht werden, hat nur geringen Einfluss auf den Artenreichtum im Boden der Parzellen. Erstaunlicherweise profitieren einige Gruppen von Bodentieren, wie Pilze und Amöben, sogar von intensiver Landnutzung. „Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was wir bei Pflanzen, Vögeln, Insekten, Weichtieren, Käfern und anderen Organismen sehen, die in den Wiesen und Weiden leben. Je intensiver die Fläche genutzt wird, desto weniger dieser Arten fanden wir auf den Parzellen“, so Gaëtane Le Provost. Zusätzlich war die oberirdische Artenvielfalt geringer, wenn das nahe Umfeld, wie es oft in intensiv genutzten Agrarlandschaften der Fall ist, homogen anstelle von vielfältig war.

Das Team der Wissenschaftler schlussfolgert, dass aktuelle Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Agrarland wie ein geringerer Einsatz von Düngemitteln und das Anpflanzen von Blühstreifen vor allem der oberirdischen Artenvielfalt  zugutekommen. „Wie unsere Studie zeigt, nützen diese Maßnahmen der biologischen Vielfalt im Boden von Wiesen und Weiden vermutlich wenig, da sie nicht primär von diesen Faktoren abhängt. Sie würde mehr davon profitieren, wenn es in der weiteren Umgebung langfristig Wälder und Grasflächen gäbe“, kommentiert Peter Manning. „Wenn wir sicherstellen wollen, dass Agrarlandschaften auch in Zukunft so produktiv wie heute sind, müssen wir die ober- und die unterirdische Vielfalt fördern und schützen. Die gegenwärtigen biodiversitätsfördernden Bewirtschaftungsstrategien für Agrarlandschaften sollten daher überarbeitet werden.“

Literaturstelle: 

Le Provost, G., Thiele, J., Westphal, C. et al. Contrasting responses of above- and belowground diversity to multiple components of land-use intensity. Nat Commun 12, 3918 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-23931-1

Die Studie ist in vollem Umfang frei zugänglich (Open Access).
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